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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

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dergleichen Handlungen Anfangs nicht anders als mit Bewußtseyn der Seele und durch ihre thätige Einwürkung erfolgen, das Bewußtseyn aber in der Folge allmälig und nach dem Gesetze der Stetigkeit abnimmt; indeß der Einfluß der Seele noch immer dieselbe Wirkung hervorbringt; so muß auch alsdann, wenn das Bewußtseyn völlig verschwindet, die Handlung selbst der Einwirkung der Seele nicht entzogen werden. Anfangs beim Buchstabiren z.B. muß jede Silbe, jeder Buchstab mit Bewußtseyn der Seele betrachtet und zum Laute gebracht werden. So wie die Fertigkeit von der einen Seite zunimmt, nimmt von der andern Seite das Bewußtseyn allmälig und stetig ab, bis es am Ende ganz verschwindet, und wir ohne deutliches Bewußtseyn fortlesen können. Diese ganze Folge von dem deutlichsten Bewußtseyn, bis auf die schnellste Fertigkeit, gehet so ununterbrochen fort, daß es nirgends absetzende Gränzen giebt, wo die Handlung selbst eine Wirkung der Seele zu seyn aufhöret, und eine blos mechanische Wirkung des Körpers zu werden, anfangen sollte.

Jm Vorbeigehen sei es erinnert, daß ich diese Beweisesart für sehr fruchtbar in der Philosophie, und insbesondre in der Seelenlehre halte; und ich weiß mich keines Logikers zu erinnern, der sie ausdrücklich angeführt hätte. Jm allgemeinen würde ich sie folgendergestalt ausdrücken:



dergleichen Handlungen Anfangs nicht anders als mit Bewußtseyn der Seele und durch ihre thaͤtige Einwuͤrkung erfolgen, das Bewußtseyn aber in der Folge allmaͤlig und nach dem Gesetze der Stetigkeit abnimmt; indeß der Einfluß der Seele noch immer dieselbe Wirkung hervorbringt; so muß auch alsdann, wenn das Bewußtseyn voͤllig verschwindet, die Handlung selbst der Einwirkung der Seele nicht entzogen werden. Anfangs beim Buchstabiren z.B. muß jede Silbe, jeder Buchstab mit Bewußtseyn der Seele betrachtet und zum Laute gebracht werden. So wie die Fertigkeit von der einen Seite zunimmt, nimmt von der andern Seite das Bewußtseyn allmaͤlig und stetig ab, bis es am Ende ganz verschwindet, und wir ohne deutliches Bewußtseyn fortlesen koͤnnen. Diese ganze Folge von dem deutlichsten Bewußtseyn, bis auf die schnellste Fertigkeit, gehet so ununterbrochen fort, daß es nirgends absetzende Graͤnzen giebt, wo die Handlung selbst eine Wirkung der Seele zu seyn aufhoͤret, und eine blos mechanische Wirkung des Koͤrpers zu werden, anfangen sollte.

Jm Vorbeigehen sei es erinnert, daß ich diese Beweisesart fuͤr sehr fruchtbar in der Philosophie, und insbesondre in der Seelenlehre halte; und ich weiß mich keines Logikers zu erinnern, der sie ausdruͤcklich angefuͤhrt haͤtte. Jm allgemeinen wuͤrde ich sie folgendergestalt ausdruͤcken:


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[50/0054] dergleichen Handlungen Anfangs nicht anders als mit Bewußtseyn der Seele und durch ihre thaͤtige Einwuͤrkung erfolgen, das Bewußtseyn aber in der Folge allmaͤlig und nach dem Gesetze der Stetigkeit abnimmt; indeß der Einfluß der Seele noch immer dieselbe Wirkung hervorbringt; so muß auch alsdann, wenn das Bewußtseyn voͤllig verschwindet, die Handlung selbst der Einwirkung der Seele nicht entzogen werden. Anfangs beim Buchstabiren z.B. muß jede Silbe, jeder Buchstab mit Bewußtseyn der Seele betrachtet und zum Laute gebracht werden. So wie die Fertigkeit von der einen Seite zunimmt, nimmt von der andern Seite das Bewußtseyn allmaͤlig und stetig ab, bis es am Ende ganz verschwindet, und wir ohne deutliches Bewußtseyn fortlesen koͤnnen. Diese ganze Folge von dem deutlichsten Bewußtseyn, bis auf die schnellste Fertigkeit, gehet so ununterbrochen fort, daß es nirgends absetzende Graͤnzen giebt, wo die Handlung selbst eine Wirkung der Seele zu seyn aufhoͤret, und eine blos mechanische Wirkung des Koͤrpers zu werden, anfangen sollte. Jm Vorbeigehen sei es erinnert, daß ich diese Beweisesart fuͤr sehr fruchtbar in der Philosophie, und insbesondre in der Seelenlehre halte; und ich weiß mich keines Logikers zu erinnern, der sie ausdruͤcklich angefuͤhrt haͤtte. Jm allgemeinen wuͤrde ich sie folgendergestalt ausdruͤcken:

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/54>, abgerufen am 03.05.2024.