Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
<TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0034" n="30"/><lb/> anlaßt haben, merkwuͤrdig. Jch gab mir daher Muͤhe, eine genaue Erkundigung von ihrer Gemuͤthsbeschaffenheit einzuziehen. Ein Tagebuch der Bruͤdergemeinde, welches Denkspruͤche aus der heiligen Schrift auf jeden Tag im Jahr enthaͤlt, fand sich aufgeschlagen nahe bei dem Bette der Verstorbenen, und der diesem Tage gewidmete Spruch konnte wuͤrklich als ein Abschied aus der Welt ausgedeutet werden, wiewohl ich mich des eigentlichen Jnhalts nicht mehr erinnere. Jch wand mich an einen der Bruͤder, welcher mir ein Mann von gesundem, schlichtem Menschenverstand zu seyn schien; (er war es, der darauf gedrungen hatte, den Vorfall der Obrigkeit anzuzeigen) ich that die Frage an ihn, ob die Schwester wohl melancholisch gewesen, oder an ihrer Seeligkeit gezweifelt habe? Niemalen, sagte er, habe man etwas Unrichtiges in ihren Reden bemerkt, und an ihrer Seeligkeit habe sie so wenig gezweifelt, daß sie vielmehr ihm und den uͤbrigen Geschwistern als weltlichgesinnten sehr oft die ewige Verdammniß gedroht, wenn sie nicht eben denselben Weg des Heils einschluͤgen, wie sie. Sie habe seine Frau veranlaßt, ebenfalls in die Bruͤdergemeine zu treten, welches ihm um destomehr zum Verdruß und Plage gereiche, da sie nun die Haushaltung uͤber dem oͤftern Beten und Heiligung der vielen vorkommenden Feyertage vernachlaͤßige; er habe sich aber besonders bei Lebzeiten seiner Schwester desto weniger hieruͤber auslassen duͤrfen, da ihm dieselbe jederzeit die ewige Ver-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0034]
anlaßt haben, merkwuͤrdig. Jch gab mir daher Muͤhe, eine genaue Erkundigung von ihrer Gemuͤthsbeschaffenheit einzuziehen. Ein Tagebuch der Bruͤdergemeinde, welches Denkspruͤche aus der heiligen Schrift auf jeden Tag im Jahr enthaͤlt, fand sich aufgeschlagen nahe bei dem Bette der Verstorbenen, und der diesem Tage gewidmete Spruch konnte wuͤrklich als ein Abschied aus der Welt ausgedeutet werden, wiewohl ich mich des eigentlichen Jnhalts nicht mehr erinnere. Jch wand mich an einen der Bruͤder, welcher mir ein Mann von gesundem, schlichtem Menschenverstand zu seyn schien; (er war es, der darauf gedrungen hatte, den Vorfall der Obrigkeit anzuzeigen) ich that die Frage an ihn, ob die Schwester wohl melancholisch gewesen, oder an ihrer Seeligkeit gezweifelt habe? Niemalen, sagte er, habe man etwas Unrichtiges in ihren Reden bemerkt, und an ihrer Seeligkeit habe sie so wenig gezweifelt, daß sie vielmehr ihm und den uͤbrigen Geschwistern als weltlichgesinnten sehr oft die ewige Verdammniß gedroht, wenn sie nicht eben denselben Weg des Heils einschluͤgen, wie sie. Sie habe seine Frau veranlaßt, ebenfalls in die Bruͤdergemeine zu treten, welches ihm um destomehr zum Verdruß und Plage gereiche, da sie nun die Haushaltung uͤber dem oͤftern Beten und Heiligung der vielen vorkommenden Feyertage vernachlaͤßige; er habe sich aber besonders bei Lebzeiten seiner Schwester desto weniger hieruͤber auslassen duͤrfen, da ihm dieselbe jederzeit die ewige Ver-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |