Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


vielleicht, gewiß und nicht veranlaßt werden, könnten vielleicht folgende gewesen seyn:

die Hütte ist baufällig,
die Hütte kann gestützt werden,
die Hütte soll gestützt werden.

Durch die erste von diesen drei Vorstellungen ward die Jdee, daß die Hütte gewiß einstürzen würde, bestärkt, und diese Bestärkung ward durch gewiß ausgedrückt, welches beinahe so viel heißt, als ich weiß es; durch die zweite ward die Vorstellung von dem Einstürzen der Hütte schwankend gemacht, und dieses schwankende Verhältniß wird durch vielleicht ausgedrückt, welches so viel heißt, als es kann seyn; durch die dritte Vorstellung wird die Jdee, daß die Hütte einstürzen sollte, als unmöglich dargestellt: denn wenn sie gestützt wird, wird sie stehen bleiben; da nun aber die Vorstellungen, daß sie stehen bleiben, und daß sie einstürzen soll, nicht nebeneinander bestehen können, so wird die letztere von der erstern aufgehoben, und diese Aufhebung wird nun durch nicht ausgedrückt. Nicht ist also eigentlich ein Ausdruck dessen, was wir dunkel dabei empfinden, wenn eine Vorstellung, die erst in unsre Seele kömmt, sich nicht in den Zusammenhang aller übrigen paßt, die schon darin sind. Durch das Wort nicht können wir uns also den Jrrthum, unbeschadet der Wahrheit, denken, in-


vielleicht, gewiß und nicht veranlaßt werden, koͤnnten vielleicht folgende gewesen seyn:

die Huͤtte ist baufaͤllig,
die Huͤtte kann gestuͤtzt werden,
die Huͤtte soll gestuͤtzt werden.

Durch die erste von diesen drei Vorstellungen ward die Jdee, daß die Huͤtte gewiß einstuͤrzen wuͤrde, bestaͤrkt, und diese Bestaͤrkung ward durch gewiß ausgedruͤckt, welches beinahe so viel heißt, als ich weiß es; durch die zweite ward die Vorstellung von dem Einstuͤrzen der Huͤtte schwankend gemacht, und dieses schwankende Verhaͤltniß wird durch vielleicht ausgedruͤckt, welches so viel heißt, als es kann seyn; durch die dritte Vorstellung wird die Jdee, daß die Huͤtte einstuͤrzen sollte, als unmoͤglich dargestellt: denn wenn sie gestuͤtzt wird, wird sie stehen bleiben; da nun aber die Vorstellungen, daß sie stehen bleiben, und daß sie einstuͤrzen soll, nicht nebeneinander bestehen koͤnnen, so wird die letztere von der erstern aufgehoben, und diese Aufhebung wird nun durch nicht ausgedruͤckt. Nicht ist also eigentlich ein Ausdruck dessen, was wir dunkel dabei empfinden, wenn eine Vorstellung, die erst in unsre Seele koͤmmt, sich nicht in den Zusammenhang aller uͤbrigen paßt, die schon darin sind. Durch das Wort nicht koͤnnen wir uns also den Jrrthum, unbeschadet der Wahrheit, denken, in-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0130" n="126"/><lb/><hi rendition="#b">vielleicht, gewiß</hi> und <hi rendition="#b">nicht</hi> veranlaßt                         werden, ko&#x0364;nnten vielleicht folgende gewesen seyn: </p>
        <p>die Hu&#x0364;tte ist baufa&#x0364;llig,<lb/>
die Hu&#x0364;tte <hi rendition="#b">kann</hi> gestu&#x0364;tzt werden,<lb/>
die Hu&#x0364;tte <hi rendition="#b">soll</hi> gestu&#x0364;tzt werden. </p>
        <p>Durch die erste von diesen drei Vorstellungen ward die Jdee, <hi rendition="#b">daß die Hu&#x0364;tte gewiß einstu&#x0364;rzen wu&#x0364;rde, besta&#x0364;rkt,</hi> und diese <hi rendition="#b">Besta&#x0364;rkung</hi> ward durch <hi rendition="#b">gewiß</hi> ausgedru&#x0364;ckt, welches beinahe so viel heißt, als <hi rendition="#b">ich weiß es;</hi> durch die zweite ward die Vorstellung von                         dem Einstu&#x0364;rzen der Hu&#x0364;tte <hi rendition="#b">schwankend</hi> gemacht, und                         dieses <hi rendition="#b">schwankende Verha&#x0364;ltniß</hi> wird durch <hi rendition="#b">vielleicht</hi> ausgedru&#x0364;ckt, welches so viel heißt, als <hi rendition="#b">es kann seyn;</hi> durch die dritte Vorstellung wird die                         Jdee, daß die <hi rendition="#b">Hu&#x0364;tte</hi> einstu&#x0364;rzen sollte, als <hi rendition="#b">unmo&#x0364;glich</hi> dargestellt: denn wenn sie gestu&#x0364;tzt wird, wird                         sie stehen bleiben; da nun aber die Vorstellungen, daß sie stehen bleiben,                         und daß sie einstu&#x0364;rzen soll, nicht nebeneinander bestehen ko&#x0364;nnen, so wird                         die letztere von der erstern <hi rendition="#b">aufgehoben,</hi> und diese <hi rendition="#b">Aufhebung</hi> wird nun durch <hi rendition="#b">nicht</hi> ausgedru&#x0364;ckt. <hi rendition="#b">Nicht</hi> ist also                         eigentlich ein <hi rendition="#b">Ausdruck dessen, was wir dunkel dabei                             empfinden, wenn eine Vorstellung, die erst in unsre Seele ko&#x0364;mmt, sich                             nicht in den Zusammenhang aller u&#x0364;brigen paßt, die schon darin                             sind.</hi> Durch das Wort <hi rendition="#b">nicht</hi> ko&#x0364;nnen wir uns                         also den Jrrthum, unbeschadet der Wahrheit, denken, in-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0130] vielleicht, gewiß und nicht veranlaßt werden, koͤnnten vielleicht folgende gewesen seyn: die Huͤtte ist baufaͤllig, die Huͤtte kann gestuͤtzt werden, die Huͤtte soll gestuͤtzt werden. Durch die erste von diesen drei Vorstellungen ward die Jdee, daß die Huͤtte gewiß einstuͤrzen wuͤrde, bestaͤrkt, und diese Bestaͤrkung ward durch gewiß ausgedruͤckt, welches beinahe so viel heißt, als ich weiß es; durch die zweite ward die Vorstellung von dem Einstuͤrzen der Huͤtte schwankend gemacht, und dieses schwankende Verhaͤltniß wird durch vielleicht ausgedruͤckt, welches so viel heißt, als es kann seyn; durch die dritte Vorstellung wird die Jdee, daß die Huͤtte einstuͤrzen sollte, als unmoͤglich dargestellt: denn wenn sie gestuͤtzt wird, wird sie stehen bleiben; da nun aber die Vorstellungen, daß sie stehen bleiben, und daß sie einstuͤrzen soll, nicht nebeneinander bestehen koͤnnen, so wird die letztere von der erstern aufgehoben, und diese Aufhebung wird nun durch nicht ausgedruͤckt. Nicht ist also eigentlich ein Ausdruck dessen, was wir dunkel dabei empfinden, wenn eine Vorstellung, die erst in unsre Seele koͤmmt, sich nicht in den Zusammenhang aller uͤbrigen paßt, die schon darin sind. Durch das Wort nicht koͤnnen wir uns also den Jrrthum, unbeschadet der Wahrheit, denken, in-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/130
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/130>, abgerufen am 30.04.2024.