Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


terbrochener Ordnung wiederkehrenden Veränderungen in der Natur, die wir Zeit nennen: dieß sind die Abwechselungen zwischen Tag und Nacht, zwischen den Jahrszeiten u.s.w.

Alles was wir in unserm Leben erfahren, pflegen wir an die Vorstellung von irgend einer solchen Abwechselung in der Natur anzupassen, die wir Tag, Nacht, Morgen, Abend, früh, spät, Sommer, Frühling u.s.w. benennen. Daher kömmt es nun, daß wir alle Begebenheiten und Erfahrungen unsers Lebens nach der Reihe überschauen können, die sonst ein Labyrinth für uns seyn würden, aus welchem wir uns nicht herausfinden könnten.

Wenn es heißt, jetzt war die Hütte gebauet, so sieht man leicht, daß jetzt weder eine Beschaffenheit der Hütte noch des Bauens anzeigt, sondern einen äußern Umstand, nehmlich einen gewissen Zeitpunkt, woran sich unsre Vorstellung festhalten muß, wenn wir uns die Vollendung der Hütte als wirklich denken wollen.

Solcher Wörter wie jetzt giebt es nun mehrere, die sich aber größtentheils in Hauptwörter auflösen lassen, als jetzt (in dieser Zeit) heute (an diesem Tage) u.s.w.

Mit diesem Begrif von der Zeit ist der Begrif von der Zahl auf das genaueste verwandt; indem es heißt, er lächelte noch einmal und starb, so denke ich mir unter mal ebenfalls einen gewissen Zeitpunkt, woran sich meine Vorstellung von sei-


terbrochener Ordnung wiederkehrenden Veraͤnderungen in der Natur, die wir Zeit nennen: dieß sind die Abwechselungen zwischen Tag und Nacht, zwischen den Jahrszeiten u.s.w.

Alles was wir in unserm Leben erfahren, pflegen wir an die Vorstellung von irgend einer solchen Abwechselung in der Natur anzupassen, die wir Tag, Nacht, Morgen, Abend, fruͤh, spaͤt, Sommer, Fruͤhling u.s.w. benennen. Daher koͤmmt es nun, daß wir alle Begebenheiten und Erfahrungen unsers Lebens nach der Reihe uͤberschauen koͤnnen, die sonst ein Labyrinth fuͤr uns seyn wuͤrden, aus welchem wir uns nicht herausfinden koͤnnten.

Wenn es heißt, jetzt war die Huͤtte gebauet, so sieht man leicht, daß jetzt weder eine Beschaffenheit der Huͤtte noch des Bauens anzeigt, sondern einen aͤußern Umstand, nehmlich einen gewissen Zeitpunkt, woran sich unsre Vorstellung festhalten muß, wenn wir uns die Vollendung der Huͤtte als wirklich denken wollen.

Solcher Woͤrter wie jetzt giebt es nun mehrere, die sich aber groͤßtentheils in Hauptwoͤrter aufloͤsen lassen, als jetzt (in dieser Zeit) heute (an diesem Tage) u.s.w.

Mit diesem Begrif von der Zeit ist der Begrif von der Zahl auf das genaueste verwandt; indem es heißt, er laͤchelte noch einmal und starb, so denke ich mir unter mal ebenfalls einen gewissen Zeitpunkt, woran sich meine Vorstellung von sei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0127" n="123"/><lb/>
terbrochener Ordnung wiederkehrenden                         Vera&#x0364;nderungen in der Natur, die wir <hi rendition="#b">Zeit</hi> nennen: dieß                         sind die Abwechselungen zwischen Tag und Nacht, zwischen den Jahrszeiten                         u.s.w. </p>
        <p>Alles was wir in unserm Leben erfahren, pflegen wir an die                         Vorstellung von irgend einer solchen Abwechselung in der Natur anzupassen,                         die wir <hi rendition="#b">Tag, Nacht, Morgen, Abend, fru&#x0364;h, spa&#x0364;t, Sommer,                             Fru&#x0364;hling</hi> u.s.w. benennen. Daher ko&#x0364;mmt es nun, daß wir alle                         Begebenheiten und Erfahrungen unsers Lebens nach der Reihe u&#x0364;berschauen                         ko&#x0364;nnen, die sonst ein Labyrinth fu&#x0364;r uns seyn wu&#x0364;rden, aus welchem wir uns                         nicht herausfinden ko&#x0364;nnten. </p>
        <p>Wenn es heißt, <hi rendition="#b">jetzt war die Hu&#x0364;tte                             gebauet,</hi> so sieht man leicht, daß <hi rendition="#b"> jetzt</hi> weder eine Beschaffenheit der Hu&#x0364;tte noch des Bauens anzeigt, sondern einen                         a&#x0364;ußern Umstand, nehmlich einen gewissen Zeitpunkt, woran sich unsre                         Vorstellung festhalten muß, wenn wir uns die Vollendung der Hu&#x0364;tte als                         wirklich denken wollen. </p>
        <p>Solcher Wo&#x0364;rter wie <hi rendition="#b">jetzt</hi> giebt es nun                         mehrere, die sich aber gro&#x0364;ßtentheils in Hauptwo&#x0364;rter auflo&#x0364;sen lassen, als                         jetzt <hi rendition="#b">(in dieser Zeit) heute (an diesem Tage)</hi> u.s.w. </p>
        <p>Mit diesem Begrif von der Zeit ist der Begrif von der Zahl auf                         das genaueste verwandt; indem es heißt, <hi rendition="#b">er la&#x0364;chelte noch                             einmal und starb,</hi> so denke ich mir unter <hi rendition="#b">mal</hi> ebenfalls einen gewissen Zeitpunkt, woran sich meine                         Vorstellung von sei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0127] terbrochener Ordnung wiederkehrenden Veraͤnderungen in der Natur, die wir Zeit nennen: dieß sind die Abwechselungen zwischen Tag und Nacht, zwischen den Jahrszeiten u.s.w. Alles was wir in unserm Leben erfahren, pflegen wir an die Vorstellung von irgend einer solchen Abwechselung in der Natur anzupassen, die wir Tag, Nacht, Morgen, Abend, fruͤh, spaͤt, Sommer, Fruͤhling u.s.w. benennen. Daher koͤmmt es nun, daß wir alle Begebenheiten und Erfahrungen unsers Lebens nach der Reihe uͤberschauen koͤnnen, die sonst ein Labyrinth fuͤr uns seyn wuͤrden, aus welchem wir uns nicht herausfinden koͤnnten. Wenn es heißt, jetzt war die Huͤtte gebauet, so sieht man leicht, daß jetzt weder eine Beschaffenheit der Huͤtte noch des Bauens anzeigt, sondern einen aͤußern Umstand, nehmlich einen gewissen Zeitpunkt, woran sich unsre Vorstellung festhalten muß, wenn wir uns die Vollendung der Huͤtte als wirklich denken wollen. Solcher Woͤrter wie jetzt giebt es nun mehrere, die sich aber groͤßtentheils in Hauptwoͤrter aufloͤsen lassen, als jetzt (in dieser Zeit) heute (an diesem Tage) u.s.w. Mit diesem Begrif von der Zeit ist der Begrif von der Zahl auf das genaueste verwandt; indem es heißt, er laͤchelte noch einmal und starb, so denke ich mir unter mal ebenfalls einen gewissen Zeitpunkt, woran sich meine Vorstellung von sei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/127
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/127>, abgerufen am 23.11.2024.