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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

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der Heuchelei und Verstellung gebracht; er weiß seine Fehler sehr geschickt zu verbergen, und ihnen, wenn sie je entdeckt werden, einen so guten Anstrich zu geben, daß sie ihm, von allen, die ihn nicht kennen, gewiß auf der Stelle vergeben werden. Mit eben so vieler Geschicklichkeit weiß er auch sein Gutes allenthalben sichtbar zu machen. Diese üble Gewohnheit muß er sich so, wie seine ziemlich große Fertigkeit im Lügen, abgewöhnen, wenn ihn seine, übrigens dienstfertige, liebevolle, nachgebende und zu allen sanften Tugenden fähige Seele, allgemein beliebt machen soll.

Schmerz und Vergnügen bringen ihn beide leicht außer Fassung, und er kann sich eben so wenig im Klagen als im Fröhlichseyn mäßigen.

Seine zu große Furchtsamkeit hält ihn von jeder Unternehmung zurück, bey welcher etwas gewagt werden muß. Bey den kleinsten Uebungen im Springen, Klettern und Bergablaufen, die ich mit ihm anstellte, um ihn beherzter zu machen, kostete es mir sehr viel Mühe, ihn zu den kleinsten Versuchen zu bewegen, denn seine Vorstellungen von den damit verbundenen Gefahren waren immer überspannt.

Durch Schilderungen des Elends oder guter Charaktere wird er so, wie durch Erzählungen trauriger Begebenheiten, leicht gerührt; er läuft dann im ganzen Hause umher, und sucht jede theilneh-


der Heuchelei und Verstellung gebracht; er weiß seine Fehler sehr geschickt zu verbergen, und ihnen, wenn sie je entdeckt werden, einen so guten Anstrich zu geben, daß sie ihm, von allen, die ihn nicht kennen, gewiß auf der Stelle vergeben werden. Mit eben so vieler Geschicklichkeit weiß er auch sein Gutes allenthalben sichtbar zu machen. Diese uͤble Gewohnheit muß er sich so, wie seine ziemlich große Fertigkeit im Luͤgen, abgewoͤhnen, wenn ihn seine, uͤbrigens dienstfertige, liebevolle, nachgebende und zu allen sanften Tugenden faͤhige Seele, allgemein beliebt machen soll.

Schmerz und Vergnuͤgen bringen ihn beide leicht außer Fassung, und er kann sich eben so wenig im Klagen als im Froͤhlichseyn maͤßigen.

Seine zu große Furchtsamkeit haͤlt ihn von jeder Unternehmung zuruͤck, bey welcher etwas gewagt werden muß. Bey den kleinsten Uebungen im Springen, Klettern und Bergablaufen, die ich mit ihm anstellte, um ihn beherzter zu machen, kostete es mir sehr viel Muͤhe, ihn zu den kleinsten Versuchen zu bewegen, denn seine Vorstellungen von den damit verbundenen Gefahren waren immer uͤberspannt.

Durch Schilderungen des Elends oder guter Charaktere wird er so, wie durch Erzaͤhlungen trauriger Begebenheiten, leicht geruͤhrt; er laͤuft dann im ganzen Hause umher, und sucht jede theilneh-

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[109/0113] der Heuchelei und Verstellung gebracht; er weiß seine Fehler sehr geschickt zu verbergen, und ihnen, wenn sie je entdeckt werden, einen so guten Anstrich zu geben, daß sie ihm, von allen, die ihn nicht kennen, gewiß auf der Stelle vergeben werden. Mit eben so vieler Geschicklichkeit weiß er auch sein Gutes allenthalben sichtbar zu machen. Diese uͤble Gewohnheit muß er sich so, wie seine ziemlich große Fertigkeit im Luͤgen, abgewoͤhnen, wenn ihn seine, uͤbrigens dienstfertige, liebevolle, nachgebende und zu allen sanften Tugenden faͤhige Seele, allgemein beliebt machen soll. Schmerz und Vergnuͤgen bringen ihn beide leicht außer Fassung, und er kann sich eben so wenig im Klagen als im Froͤhlichseyn maͤßigen. Seine zu große Furchtsamkeit haͤlt ihn von jeder Unternehmung zuruͤck, bey welcher etwas gewagt werden muß. Bey den kleinsten Uebungen im Springen, Klettern und Bergablaufen, die ich mit ihm anstellte, um ihn beherzter zu machen, kostete es mir sehr viel Muͤhe, ihn zu den kleinsten Versuchen zu bewegen, denn seine Vorstellungen von den damit verbundenen Gefahren waren immer uͤberspannt. Durch Schilderungen des Elends oder guter Charaktere wird er so, wie durch Erzaͤhlungen trauriger Begebenheiten, leicht geruͤhrt; er laͤuft dann im ganzen Hause umher, und sucht jede theilneh-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/113>, abgerufen am 01.05.2024.