Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


streuen. Man gehe im Zimmer umher, in die Luft, in den Garten u.s.w. oder zerstreue sich mit kleinen Arbeiten und Gesprächen.

Je abgelegener diese von unserer Gedankenreihe, je simpler, in Absicht der nöthigen Aufmerksamkeit, je lustiger sie sind, desto besser. Drittens, suche man die hohen Arbeiten des Geistes in solchen Zeiten vorzunehmen, worinn wir am stärksten sind; des Morgens, nach starken Bewegungen und Erholungen, nach den nicht schwächenden Vergnügungen u.s.w. Durch eine möglichst weise Einrichtung der Geschäfte gehe man vom Schwerern nur zum Leichtern fort; nie aber umgekehrt. Dadurch werden wir unendlich mehr thun, als sonst möglich ist, und immer mit genugsamer Kraft. Zwingt man sich aber zu Anstrengungen dieser Art, wenn just die Seele nicht heiter ist, so trift das Virgilianische

-- -- frustraque laborem / Ingratum trahit -- --

ein. Man sieht hieraus, daß die Stunden gegen Abend und die Nacht gerade, auch aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, die unschicklichsten sind.

Wer hypochondrisch ist, und dabei freiwilligen grossen Geistesanstrengungen obliegt, ist de tempore der größte Thor und Selbsthasser. Man wende nicht ein, daß man aus seiner Erfahrung und Gewohnheit wisse, daß die Stunden gegen und nach Mitternacht die besten Zeiten zu starken See-


streuen. Man gehe im Zimmer umher, in die Luft, in den Garten u.s.w. oder zerstreue sich mit kleinen Arbeiten und Gespraͤchen.

Je abgelegener diese von unserer Gedankenreihe, je simpler, in Absicht der noͤthigen Aufmerksamkeit, je lustiger sie sind, desto besser. Drittens, suche man die hohen Arbeiten des Geistes in solchen Zeiten vorzunehmen, worinn wir am staͤrksten sind; des Morgens, nach starken Bewegungen und Erholungen, nach den nicht schwaͤchenden Vergnuͤgungen u.s.w. Durch eine moͤglichst weise Einrichtung der Geschaͤfte gehe man vom Schwerern nur zum Leichtern fort; nie aber umgekehrt. Dadurch werden wir unendlich mehr thun, als sonst moͤglich ist, und immer mit genugsamer Kraft. Zwingt man sich aber zu Anstrengungen dieser Art, wenn just die Seele nicht heiter ist, so trift das Virgilianische

― ― frustraque laborem / Ingratum trahit ― ―

ein. Man sieht hieraus, daß die Stunden gegen Abend und die Nacht gerade, auch aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, die unschicklichsten sind.

Wer hypochondrisch ist, und dabei freiwilligen grossen Geistesanstrengungen obliegt, ist de tempore der groͤßte Thor und Selbsthasser. Man wende nicht ein, daß man aus seiner Erfahrung und Gewohnheit wisse, daß die Stunden gegen und nach Mitternacht die besten Zeiten zu starken See-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0110" n="106"/><lb/>
streuen. Man gehe im                         Zimmer umher, in die Luft, in den Garten u.s.w. oder zerstreue sich mit                         kleinen Arbeiten und Gespra&#x0364;chen. </p>
          <p>Je abgelegener diese von unserer Gedankenreihe, je simpler, in                         Absicht der no&#x0364;thigen Aufmerksamkeit, je lustiger sie sind, desto besser.                         Drittens, suche man die hohen Arbeiten des Geistes in solchen Zeiten                         vorzunehmen, worinn wir am sta&#x0364;rksten sind; des Morgens, nach starken                         Bewegungen und Erholungen, nach den nicht schwa&#x0364;chenden Vergnu&#x0364;gungen u.s.w.                         Durch eine <choice><corr>mo&#x0364;glichst weise</corr><sic>mo&#x0364;glichstweise</sic></choice>                         Einrichtung der Gescha&#x0364;fte gehe man vom Schwerern nur zum Leichtern fort; nie                         aber umgekehrt. Dadurch werden wir unendlich mehr thun, als sonst mo&#x0364;glich                         ist, und immer mit genugsamer Kraft. Zwingt man sich aber zu Anstrengungen                         dieser Art, wenn just die Seele nicht heiter ist, so trift das                         Virgilianische </p>
          <p rend="indention2"><hi rendition="#aq"> &#x2015; &#x2015; frustraque laborem / Ingratum                             trahit</hi> &#x2015; &#x2015; </p>
          <p>ein. Man sieht hieraus, daß die Stunden gegen Abend und die                         Nacht gerade, auch aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, die unschicklichsten                         sind. </p>
          <p>Wer hypochondrisch ist, und dabei freiwilligen grossen                         Geistesanstrengungen obliegt, ist <hi rendition="#aq">de tempore</hi> der                         gro&#x0364;ßte Thor und Selbsthasser. Man wende nicht ein, daß man aus seiner                         Erfahrung und Gewohnheit wisse, daß die Stunden gegen und nach Mitternacht                         die besten Zeiten zu starken See-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0110] streuen. Man gehe im Zimmer umher, in die Luft, in den Garten u.s.w. oder zerstreue sich mit kleinen Arbeiten und Gespraͤchen. Je abgelegener diese von unserer Gedankenreihe, je simpler, in Absicht der noͤthigen Aufmerksamkeit, je lustiger sie sind, desto besser. Drittens, suche man die hohen Arbeiten des Geistes in solchen Zeiten vorzunehmen, worinn wir am staͤrksten sind; des Morgens, nach starken Bewegungen und Erholungen, nach den nicht schwaͤchenden Vergnuͤgungen u.s.w. Durch eine moͤglichst weise Einrichtung der Geschaͤfte gehe man vom Schwerern nur zum Leichtern fort; nie aber umgekehrt. Dadurch werden wir unendlich mehr thun, als sonst moͤglich ist, und immer mit genugsamer Kraft. Zwingt man sich aber zu Anstrengungen dieser Art, wenn just die Seele nicht heiter ist, so trift das Virgilianische ― ― frustraque laborem / Ingratum trahit ― ― ein. Man sieht hieraus, daß die Stunden gegen Abend und die Nacht gerade, auch aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, die unschicklichsten sind. Wer hypochondrisch ist, und dabei freiwilligen grossen Geistesanstrengungen obliegt, ist de tempore der groͤßte Thor und Selbsthasser. Man wende nicht ein, daß man aus seiner Erfahrung und Gewohnheit wisse, daß die Stunden gegen und nach Mitternacht die besten Zeiten zu starken See-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/110
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/110>, abgerufen am 01.05.2024.