Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Man gab dem Lehrer zu erkennen, daß dies mehr eine Uebung des Gedächtnisses, als im Denken sey, und man sich von dem letztern auch eine Probe ausbitte. Worauf er denn die Schriftstelle Joh. 5. v. 25-29 wieder von allen von Komma zu Komma hersagen ließ, die Anfangsbuchstaben an die Tafel schrieb, und es gerade so wie vorher machte.

Auf eben die Art wurden auch die übrigen Wissenschaften vorgetragen, und dem Gedächtniß eingezwängt.

Es ist schon schlimm genug, wenn die Seele bloße Worte als Zeichen von Gedanken, ohne irgend einen Gedanken selbst, zu fassen gewöhnt wird, noch schlimmer, wenn sie sich, wie hier, sogar an einzelnen Buchstaben als Zeichen von den Zeichen der Zeichen soll begnügen lernen. Welch ein Schatten von vernünftiger Jdee kann da noch wohl übrig bleiben?

Es wäre wohl der Mühe werth zu beobachten, in wie fern eine solche entsetzlich einseitige Bearbeitung einer so untergeordneten Seelenkraft, als das Gedächtniß ist, den menschlichen Verstand verrücken könne, wenn er nicht durch anderweitige zufällige Bildung noch immer aufrecht erhalten, und wieder zurecht geschoben würde?

t..s..m



Man gab dem Lehrer zu erkennen, daß dies mehr eine Uebung des Gedaͤchtnisses, als im Denken sey, und man sich von dem letztern auch eine Probe ausbitte. Worauf er denn die Schriftstelle Joh. 5. v. 25-29 wieder von allen von Komma zu Komma hersagen ließ, die Anfangsbuchstaben an die Tafel schrieb, und es gerade so wie vorher machte.

Auf eben die Art wurden auch die uͤbrigen Wissenschaften vorgetragen, und dem Gedaͤchtniß eingezwaͤngt.

Es ist schon schlimm genug, wenn die Seele bloße Worte als Zeichen von Gedanken, ohne irgend einen Gedanken selbst, zu fassen gewoͤhnt wird, noch schlimmer, wenn sie sich, wie hier, sogar an einzelnen Buchstaben als Zeichen von den Zeichen der Zeichen soll begnuͤgen lernen. Welch ein Schatten von vernuͤnftiger Jdee kann da noch wohl uͤbrig bleiben?

Es waͤre wohl der Muͤhe werth zu beobachten, in wie fern eine solche entsetzlich einseitige Bearbeitung einer so untergeordneten Seelenkraft, als das Gedaͤchtniß ist, den menschlichen Verstand verruͤcken koͤnne, wenn er nicht durch anderweitige zufaͤllige Bildung noch immer aufrecht erhalten, und wieder zurecht geschoben wuͤrde?

t..s..m


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <pb facs="#f0099" n="95"/><lb/>
          <p>Man gab dem Lehrer zu erkennen, daß dies mehr eine Uebung des Geda&#x0364;chtnisses,                         als im Denken sey, und man sich von dem letztern auch eine Probe ausbitte.                         Worauf er denn die Schriftstelle Joh. 5. v. 25-29 wieder von allen von Komma                         zu Komma hersagen ließ, die Anfangsbuchstaben an die Tafel schrieb, und es                         gerade so wie vorher machte. </p>
          <p>Auf eben die Art wurden auch die u&#x0364;brigen Wissenschaften vorgetragen, und dem                         Geda&#x0364;chtniß eingezwa&#x0364;ngt. </p>
          <p>Es ist schon schlimm genug, wenn die Seele bloße Worte als Zeichen von                         Gedanken, ohne irgend einen Gedanken selbst, zu fassen gewo&#x0364;hnt wird, noch                         schlimmer, wenn sie sich, wie hier, sogar an einzelnen Buchstaben als                         Zeichen von den Zeichen der Zeichen soll begnu&#x0364;gen lernen. Welch ein Schatten                         von vernu&#x0364;nftiger Jdee kann da noch wohl u&#x0364;brig bleiben? </p>
          <p>Es wa&#x0364;re wohl der Mu&#x0364;he werth zu beobachten, in wie fern eine solche                         entsetzlich einseitige Bearbeitung einer so untergeordneten Seelenkraft, als                         das Geda&#x0364;chtniß ist, den menschlichen Verstand verru&#x0364;cken ko&#x0364;nne, wenn er nicht                         durch anderweitige zufa&#x0364;llige Bildung noch immer aufrecht erhalten, und                         wieder zurecht geschoben wu&#x0364;rde? </p>
          <p rendition="#right"> <hi rendition="#b">
              <persName ref="#ref0109"><note type="editorial">t..s..m</note>t..s..m</persName>
            </hi> </p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0099] Man gab dem Lehrer zu erkennen, daß dies mehr eine Uebung des Gedaͤchtnisses, als im Denken sey, und man sich von dem letztern auch eine Probe ausbitte. Worauf er denn die Schriftstelle Joh. 5. v. 25-29 wieder von allen von Komma zu Komma hersagen ließ, die Anfangsbuchstaben an die Tafel schrieb, und es gerade so wie vorher machte. Auf eben die Art wurden auch die uͤbrigen Wissenschaften vorgetragen, und dem Gedaͤchtniß eingezwaͤngt. Es ist schon schlimm genug, wenn die Seele bloße Worte als Zeichen von Gedanken, ohne irgend einen Gedanken selbst, zu fassen gewoͤhnt wird, noch schlimmer, wenn sie sich, wie hier, sogar an einzelnen Buchstaben als Zeichen von den Zeichen der Zeichen soll begnuͤgen lernen. Welch ein Schatten von vernuͤnftiger Jdee kann da noch wohl uͤbrig bleiben? Es waͤre wohl der Muͤhe werth zu beobachten, in wie fern eine solche entsetzlich einseitige Bearbeitung einer so untergeordneten Seelenkraft, als das Gedaͤchtniß ist, den menschlichen Verstand verruͤcken koͤnne, wenn er nicht durch anderweitige zufaͤllige Bildung noch immer aufrecht erhalten, und wieder zurecht geschoben wuͤrde? t..s..m

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/99
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/99>, abgerufen am 02.05.2024.