Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Beim Anfang meiner Raserei wurden meine Aerzte herbei gerufen, denen es nichts unerwartetes war, so wie es ihnen, ausser meiner Genesung, kein Umstand in der ganzen Krankheit war. Jch wurde reichlich mit spanischen Fliegen belegt, und innerlich bekam ich alle zwei Stunden zwei Gran Kampher. Die Nacht brachte ich im heftigsten Delirio zu. Daß sie schlaflos war, sage ich ihnen nicht mehr, die Nächte wie die Tage waren es alle bis zum siebenzehnten Tage. Den 27sten war der Zustand derselbe. Einige Stunden ließ das Fieber nach, kam aber hernach wieder mit der vorigen oder mit grösserer Heftigkeit. Während der Remißion befand ich mich in Ansehung des Delirii in einem seltnen Mittelzustand. Meine Einbildung verfertigte zwar keine neue phantastische Bilder, aber die während der Eracerbation verfertigten, hielt sie auch dann für wirkliche Naturdinge, in ihnen lebte und webte meine Seele immer fort. So lebhaft war meine Phantasie bei Verfertigung dieser Bilder, so schwach mein Verstand bei ihrer Erinnrung. Da diese
Beim Anfang meiner Raserei wurden meine Aerzte herbei gerufen, denen es nichts unerwartetes war, so wie es ihnen, ausser meiner Genesung, kein Umstand in der ganzen Krankheit war. Jch wurde reichlich mit spanischen Fliegen belegt, und innerlich bekam ich alle zwei Stunden zwei Gran Kampher. Die Nacht brachte ich im heftigsten Delirio zu. Daß sie schlaflos war, sage ich ihnen nicht mehr, die Naͤchte wie die Tage waren es alle bis zum siebenzehnten Tage. Den 27sten war der Zustand derselbe. Einige Stunden ließ das Fieber nach, kam aber hernach wieder mit der vorigen oder mit groͤsserer Heftigkeit. Waͤhrend der Remißion befand ich mich in Ansehung des Delirii in einem seltnen Mittelzustand. Meine Einbildung verfertigte zwar keine neue phantastische Bilder, aber die waͤhrend der Eracerbation verfertigten, hielt sie auch dann fuͤr wirkliche Naturdinge, in ihnen lebte und webte meine Seele immer fort. So lebhaft war meine Phantasie bei Verfertigung dieser Bilder, so schwach mein Verstand bei ihrer Erinnrung. Da diese <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0066" n="62"/><lb/> tur annehmen Unsinn und Gotteslaͤsterung. Jn der ausschweifendsten Raserei der Fieberhitze, in dem hoͤchsten Grad der Trunkenheit, giebt es so wenig bei den Seelenwirkungen etwas regelloses als in der Neutonschen Seele, da sie sich mit dem Bewegungssystem der Himmelskoͤrper beschaͤftiget! und nun genug davon. </p> <p>Beim Anfang meiner Raserei wurden meine Aerzte herbei gerufen, denen es nichts unerwartetes war, so wie es ihnen, ausser meiner Genesung, kein Umstand in der ganzen Krankheit war. Jch wurde reichlich mit spanischen Fliegen belegt, und innerlich bekam ich alle zwei Stunden zwei Gran Kampher. Die Nacht brachte ich im heftigsten Delirio zu. Daß sie schlaflos war, sage ich ihnen nicht mehr, die Naͤchte wie die Tage waren es alle bis zum siebenzehnten Tage. </p> <p>Den 27sten war der Zustand derselbe. Einige Stunden ließ das Fieber nach, kam aber hernach wieder mit der vorigen oder mit groͤsserer Heftigkeit. Waͤhrend der Remißion befand ich mich in Ansehung des Delirii in einem seltnen Mittelzustand. Meine Einbildung verfertigte zwar keine neue phantastische Bilder, aber die waͤhrend der Eracerbation verfertigten, hielt sie auch dann fuͤr wirkliche Naturdinge, in ihnen lebte und webte meine Seele immer fort. So lebhaft war meine Phantasie bei Verfertigung dieser Bilder, so schwach mein Verstand bei ihrer Erinnrung. Da diese<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0066]
tur annehmen Unsinn und Gotteslaͤsterung. Jn der ausschweifendsten Raserei der Fieberhitze, in dem hoͤchsten Grad der Trunkenheit, giebt es so wenig bei den Seelenwirkungen etwas regelloses als in der Neutonschen Seele, da sie sich mit dem Bewegungssystem der Himmelskoͤrper beschaͤftiget! und nun genug davon.
Beim Anfang meiner Raserei wurden meine Aerzte herbei gerufen, denen es nichts unerwartetes war, so wie es ihnen, ausser meiner Genesung, kein Umstand in der ganzen Krankheit war. Jch wurde reichlich mit spanischen Fliegen belegt, und innerlich bekam ich alle zwei Stunden zwei Gran Kampher. Die Nacht brachte ich im heftigsten Delirio zu. Daß sie schlaflos war, sage ich ihnen nicht mehr, die Naͤchte wie die Tage waren es alle bis zum siebenzehnten Tage.
Den 27sten war der Zustand derselbe. Einige Stunden ließ das Fieber nach, kam aber hernach wieder mit der vorigen oder mit groͤsserer Heftigkeit. Waͤhrend der Remißion befand ich mich in Ansehung des Delirii in einem seltnen Mittelzustand. Meine Einbildung verfertigte zwar keine neue phantastische Bilder, aber die waͤhrend der Eracerbation verfertigten, hielt sie auch dann fuͤr wirkliche Naturdinge, in ihnen lebte und webte meine Seele immer fort. So lebhaft war meine Phantasie bei Verfertigung dieser Bilder, so schwach mein Verstand bei ihrer Erinnrung. Da diese
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/66>, abgerufen am 27.07.2024. |