Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


und der lumpichten Welt zerhauen wird. Hätte ich damals gewußt, was ich nachher bei meiner Genesung erfahren, daß ich so vielen Menschen nichts weniger als ein gleichgültiger Gegenstand war, daß alle meine Bekannten, alles, von der verschiedensten und entgegengesetztesten Denkungsart, wegen meiner Gefahr in höchster Unruhe waren, mein Daseyn inniglich wünschten, und kaum daß ich mich erholen werde, zwanzigweise zu mir kommen werden, um aus vollem Herzen ihre Freude zu bezeugen; hätt' ich dies alles gewußt, so wäre mir die Jdee des Todes, die bitterste und quaalvollste gewesen; wer weiß, ob ich die Krankheit überstanden hätte. Vorzüglich war mein Haß und Widerwille gegen diejenigen gerichtet, welche mir die meisten Wohlthaten in meiner Krankheit erzeigten, und ohne deren unermüdete Wartung ich gegenwärtig zuverläßig nicht mehr wäre. A.. M.. H.. R.. H.. (den ich in meinem Delirio wegen seiner poßirlichen Figur immer Fallstaf nannte) die Geliebte meines Herzens, T.., alle diese kamen im genauesten Verstande Tag und Nacht nicht von meinem Bette, und drei ganzer Wochen nicht aus ihren Kleidern. Sie wuschen, und hoben und bewachten mich, und waren zugleich zu jeder Stunde die willfährigsten Läufer nach Doktor, Barbier, Apotheke, so wie die Umstände es erfoderten. Und gerade diese waren es, die ich als meine ärgste Feinde ansah, die bloß mich zu necken, höhnen,


und der lumpichten Welt zerhauen wird. Haͤtte ich damals gewußt, was ich nachher bei meiner Genesung erfahren, daß ich so vielen Menschen nichts weniger als ein gleichguͤltiger Gegenstand war, daß alle meine Bekannten, alles, von der verschiedensten und entgegengesetztesten Denkungsart, wegen meiner Gefahr in hoͤchster Unruhe waren, mein Daseyn inniglich wuͤnschten, und kaum daß ich mich erholen werde, zwanzigweise zu mir kommen werden, um aus vollem Herzen ihre Freude zu bezeugen; haͤtt' ich dies alles gewußt, so waͤre mir die Jdee des Todes, die bitterste und quaalvollste gewesen; wer weiß, ob ich die Krankheit uͤberstanden haͤtte. Vorzuͤglich war mein Haß und Widerwille gegen diejenigen gerichtet, welche mir die meisten Wohlthaten in meiner Krankheit erzeigten, und ohne deren unermuͤdete Wartung ich gegenwaͤrtig zuverlaͤßig nicht mehr waͤre. A.. M.. H.. R.. H.. (den ich in meinem Delirio wegen seiner poßirlichen Figur immer Fallstaf nannte) die Geliebte meines Herzens, T.., alle diese kamen im genauesten Verstande Tag und Nacht nicht von meinem Bette, und drei ganzer Wochen nicht aus ihren Kleidern. Sie wuschen, und hoben und bewachten mich, und waren zugleich zu jeder Stunde die willfaͤhrigsten Laͤufer nach Doktor, Barbier, Apotheke, so wie die Umstaͤnde es erfoderten. Und gerade diese waren es, die ich als meine aͤrgste Feinde ansah, die bloß mich zu necken, hoͤhnen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0063" n="59"/><lb/>
und der <hi rendition="#b">lumpichten Welt</hi> zerhauen wird. Ha&#x0364;tte ich damals gewußt, was ich nachher bei meiner Genesung                         erfahren, daß ich so vielen Menschen nichts weniger als ein gleichgu&#x0364;ltiger                         Gegenstand war, daß alle meine Bekannten, alles, von der verschiedensten und                         entgegengesetztesten Denkungsart, wegen meiner Gefahr in ho&#x0364;chster Unruhe                         waren, mein Daseyn inniglich wu&#x0364;nschten, und kaum daß ich mich erholen werde,                         zwanzigweise zu mir kommen werden, um aus vollem Herzen ihre Freude zu                         bezeugen; ha&#x0364;tt' ich dies alles gewußt, so wa&#x0364;re mir die Jdee des Todes, die                         bitterste und quaalvollste gewesen; wer weiß, ob ich die Krankheit                         u&#x0364;berstanden ha&#x0364;tte. Vorzu&#x0364;glich war mein Haß und Widerwille gegen diejenigen                         gerichtet, welche mir die meisten Wohlthaten in meiner Krankheit erzeigten,                         und ohne deren unermu&#x0364;dete Wartung ich gegenwa&#x0364;rtig zuverla&#x0364;ßig nicht mehr                         wa&#x0364;re. A.. M.. H.. R.. H.. (den ich in meinem Delirio wegen seiner                         poßirlichen Figur immer Fallstaf nannte) die Geliebte meines Herzens, T..,                         alle diese kamen im genauesten Verstande Tag und Nacht nicht von meinem                         Bette, und drei ganzer Wochen nicht aus ihren Kleidern. Sie wuschen, und                         hoben und bewachten mich, und waren zugleich zu jeder Stunde die                         willfa&#x0364;hrigsten La&#x0364;ufer nach Doktor, Barbier, Apotheke, so wie die Umsta&#x0364;nde es                         erfoderten. Und gerade diese waren es, die ich als meine a&#x0364;rgste Feinde                         ansah, die bloß mich zu necken, ho&#x0364;hnen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0063] und der lumpichten Welt zerhauen wird. Haͤtte ich damals gewußt, was ich nachher bei meiner Genesung erfahren, daß ich so vielen Menschen nichts weniger als ein gleichguͤltiger Gegenstand war, daß alle meine Bekannten, alles, von der verschiedensten und entgegengesetztesten Denkungsart, wegen meiner Gefahr in hoͤchster Unruhe waren, mein Daseyn inniglich wuͤnschten, und kaum daß ich mich erholen werde, zwanzigweise zu mir kommen werden, um aus vollem Herzen ihre Freude zu bezeugen; haͤtt' ich dies alles gewußt, so waͤre mir die Jdee des Todes, die bitterste und quaalvollste gewesen; wer weiß, ob ich die Krankheit uͤberstanden haͤtte. Vorzuͤglich war mein Haß und Widerwille gegen diejenigen gerichtet, welche mir die meisten Wohlthaten in meiner Krankheit erzeigten, und ohne deren unermuͤdete Wartung ich gegenwaͤrtig zuverlaͤßig nicht mehr waͤre. A.. M.. H.. R.. H.. (den ich in meinem Delirio wegen seiner poßirlichen Figur immer Fallstaf nannte) die Geliebte meines Herzens, T.., alle diese kamen im genauesten Verstande Tag und Nacht nicht von meinem Bette, und drei ganzer Wochen nicht aus ihren Kleidern. Sie wuschen, und hoben und bewachten mich, und waren zugleich zu jeder Stunde die willfaͤhrigsten Laͤufer nach Doktor, Barbier, Apotheke, so wie die Umstaͤnde es erfoderten. Und gerade diese waren es, die ich als meine aͤrgste Feinde ansah, die bloß mich zu necken, hoͤhnen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/63
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/63>, abgerufen am 28.11.2024.