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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

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Doch leugnet Kardan nicht, daß sich auch der Schutzgeist wirklich so wie die menschliche Vernunft, irren könne. Nicht zwar an sich als ein reiner Geist, sondern in so fern er auf materielle Organe wirken muß. Er führt 73 gelehrte Männer an, die in ihren Schriften seiner mit Ehren erwähnen, und selbst Skaliger sein Erzfeind nennt ihn das tiefsinnigste, glücklichste und unvergleichlichste Genie.

Drittes Stück.
34-35.

Ein 72jähriger blinder Prediger ermordete seine Frau des Nachts durch viele tödtliche Wunden, die er ihr beibrachte.

Beim Untersuchen gestand er diese von ihm prämeditirte That, die durch die Reflexion über seine elenden Umstände veranlaßt worden war, ein. Denn da er durch Alter und Blindheit zur Vorstehung seines Amts untüchtig, und also einen Adjunkt anzunehmen genöthigt war, dieser aber mit der ihm zugestandenen Hälfte des Einkommens unzufrieden, den armen Pfarrer auch in dem zu seinem Unterhalte Uebergebliebenen zu schmählern suchte, worüber dieser von seiner Frau täglich Vorwürfe hören mußte, so beschloß er durch diesen Mord sowohl seine Frau von ihrem Elend zu befreien, als durch die Hände des Gerichts sein eigenes mühvolles Leben zu beschließen.




Doch leugnet Kardan nicht, daß sich auch der Schutzgeist wirklich so wie die menschliche Vernunft, irren koͤnne. Nicht zwar an sich als ein reiner Geist, sondern in so fern er auf materielle Organe wirken muß. Er fuͤhrt 73 gelehrte Maͤnner an, die in ihren Schriften seiner mit Ehren erwaͤhnen, und selbst Skaliger sein Erzfeind nennt ihn das tiefsinnigste, gluͤcklichste und unvergleichlichste Genie.

Drittes Stuͤck.
34-35.

Ein 72jaͤhriger blinder Prediger ermordete seine Frau des Nachts durch viele toͤdtliche Wunden, die er ihr beibrachte.

Beim Untersuchen gestand er diese von ihm praͤmeditirte That, die durch die Reflexion uͤber seine elenden Umstaͤnde veranlaßt worden war, ein. Denn da er durch Alter und Blindheit zur Vorstehung seines Amts untuͤchtig, und also einen Adjunkt anzunehmen genoͤthigt war, dieser aber mit der ihm zugestandenen Haͤlfte des Einkommens unzufrieden, den armen Pfarrer auch in dem zu seinem Unterhalte Uebergebliebenen zu schmaͤhlern suchte, woruͤber dieser von seiner Frau taͤglich Vorwuͤrfe hoͤren mußte, so beschloß er durch diesen Mord sowohl seine Frau von ihrem Elend zu befreien, als durch die Haͤnde des Gerichts sein eigenes muͤhvolles Leben zu beschließen.



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[91/0091] Doch leugnet Kardan nicht, daß sich auch der Schutzgeist wirklich so wie die menschliche Vernunft, irren koͤnne. Nicht zwar an sich als ein reiner Geist, sondern in so fern er auf materielle Organe wirken muß. Er fuͤhrt 73 gelehrte Maͤnner an, die in ihren Schriften seiner mit Ehren erwaͤhnen, und selbst Skaliger sein Erzfeind nennt ihn das tiefsinnigste, gluͤcklichste und unvergleichlichste Genie. Drittes Stuͤck. 34-35. Ein 72jaͤhriger blinder Prediger ermordete seine Frau des Nachts durch viele toͤdtliche Wunden, die er ihr beibrachte. Beim Untersuchen gestand er diese von ihm praͤmeditirte That, die durch die Reflexion uͤber seine elenden Umstaͤnde veranlaßt worden war, ein. Denn da er durch Alter und Blindheit zur Vorstehung seines Amts untuͤchtig, und also einen Adjunkt anzunehmen genoͤthigt war, dieser aber mit der ihm zugestandenen Haͤlfte des Einkommens unzufrieden, den armen Pfarrer auch in dem zu seinem Unterhalte Uebergebliebenen zu schmaͤhlern suchte, woruͤber dieser von seiner Frau taͤglich Vorwuͤrfe hoͤren mußte, so beschloß er durch diesen Mord sowohl seine Frau von ihrem Elend zu befreien, als durch die Haͤnde des Gerichts sein eigenes muͤhvolles Leben zu beschließen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/91>, abgerufen am 02.05.2024.