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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

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Auf einmal bekam er einen Strahl der Hoffnung, daß seines Todes unerachtet, seine Seele dennoch unsterblich sei. Nicht lange darauf wurde es in seiner Seele wieder trübe, er fieng an zu zweifeln über die Unsterblichkeit. Darauf sahe er eine lichte Wolke von dem Scheitel seiner Leiche emporsteigen. Er sahe sie in die Luft zerflattern, und gerieth in eine solche Seelenangst, daß er darüber aufwachte.


Psychologische Betrachtungen über die Leidenschaften.
56-66.Neid -- Mißgunst --

Wir beneiden einen andern, wenn wir ihm gewisse Vorzüge, die er besitzt, nicht wünschen, sondern sie gern selbst besitzen möchten. Welches Letztere sonderlich der Charakter des Mißgünstigen ist.

Anmerkung.

Jch glaube dem Sprachgebrauch gemäß, gerade das Gegentheil behaupten zu können. Mißgunst bedeutet blos, daß man dem andern die Vorzüge, in deren Besitz er ist, nicht gönnt, ohne irgend einen anscheinenden Grund des Selbstinteresses (ob zwar der Psycholog diesen Grund allerdings


Auf einmal bekam er einen Strahl der Hoffnung, daß seines Todes unerachtet, seine Seele dennoch unsterblich sei. Nicht lange darauf wurde es in seiner Seele wieder truͤbe, er fieng an zu zweifeln uͤber die Unsterblichkeit. Darauf sahe er eine lichte Wolke von dem Scheitel seiner Leiche emporsteigen. Er sahe sie in die Luft zerflattern, und gerieth in eine solche Seelenangst, daß er daruͤber aufwachte.


Psychologische Betrachtungen uͤber die Leidenschaften.
56-66.Neid — Mißgunst —

Wir beneiden einen andern, wenn wir ihm gewisse Vorzuͤge, die er besitzt, nicht wuͤnschen, sondern sie gern selbst besitzen moͤchten. Welches Letztere sonderlich der Charakter des Mißguͤnstigen ist.

Anmerkung.

Jch glaube dem Sprachgebrauch gemaͤß, gerade das Gegentheil behaupten zu koͤnnen. Mißgunst bedeutet blos, daß man dem andern die Vorzuͤge, in deren Besitz er ist, nicht goͤnnt, ohne irgend einen anscheinenden Grund des Selbstinteresses (ob zwar der Psycholog diesen Grund allerdings

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[77/0077] Auf einmal bekam er einen Strahl der Hoffnung, daß seines Todes unerachtet, seine Seele dennoch unsterblich sei. Nicht lange darauf wurde es in seiner Seele wieder truͤbe, er fieng an zu zweifeln uͤber die Unsterblichkeit. Darauf sahe er eine lichte Wolke von dem Scheitel seiner Leiche emporsteigen. Er sahe sie in die Luft zerflattern, und gerieth in eine solche Seelenangst, daß er daruͤber aufwachte. Psychologische Betrachtungen uͤber die Leidenschaften. 56-66.Neid — Mißgunst — Wir beneiden einen andern, wenn wir ihm gewisse Vorzuͤge, die er besitzt, nicht wuͤnschen, sondern sie gern selbst besitzen moͤchten. Welches Letztere sonderlich der Charakter des Mißguͤnstigen ist. Anmerkung. Jch glaube dem Sprachgebrauch gemaͤß, gerade das Gegentheil behaupten zu koͤnnen. Mißgunst bedeutet blos, daß man dem andern die Vorzuͤge, in deren Besitz er ist, nicht goͤnnt, ohne irgend einen anscheinenden Grund des Selbstinteresses (ob zwar der Psycholog diesen Grund allerdings

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/77>, abgerufen am 02.05.2024.