Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Stück zur Seelenkrankheitskunde.
15-18.

Ein junges Frauenzimmer hatte an einer heftigen Nervenschwäche lange krank gelegen, und war endlich allem Ansehen nach gestorben, und als man sich aller Merkmale des Todes versichert hatte, brachte man sie aus dem Zimmer, legte sie in einen Sarg, und bestimmte ihren Begräbnißtag.

Der Tag erschien, es wurden nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thüre gesungen, und als man endlich den Sarg zunageln und wegtragen wollte, gab sie von sich Zeichen des Lebens, schlug mit einem erbärmlichen kreischenden Geschrei die Augen auf, und bekam die heftigsten Konvulsionen, wovon sie durch Hülfe der Aerzte nach einigen Tagen wieder hergestellt wurde. Sie erzählte nachher von sich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben wäre, und doch hat sie alles deutlich vernommen, was außer ihr während dieses Todesschlafs vorgegangen, alle Reden, die man in Ansehung ihrer geäußert, alle Handlungen, die man mit ihr vorgenommen u.s.w. Sie wurde darüber in eine un-


Drittes Stuͤck zur Seelenkrankheitskunde.
15-18.

Ein junges Frauenzimmer hatte an einer heftigen Nervenschwaͤche lange krank gelegen, und war endlich allem Ansehen nach gestorben, und als man sich aller Merkmale des Todes versichert hatte, brachte man sie aus dem Zimmer, legte sie in einen Sarg, und bestimmte ihren Begraͤbnißtag.

Der Tag erschien, es wurden nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thuͤre gesungen, und als man endlich den Sarg zunageln und wegtragen wollte, gab sie von sich Zeichen des Lebens, schlug mit einem erbaͤrmlichen kreischenden Geschrei die Augen auf, und bekam die heftigsten Konvulsionen, wovon sie durch Huͤlfe der Aerzte nach einigen Tagen wieder hergestellt wurde. Sie erzaͤhlte nachher von sich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben waͤre, und doch hat sie alles deutlich vernommen, was außer ihr waͤhrend dieses Todesschlafs vorgegangen, alle Reden, die man in Ansehung ihrer geaͤußert, alle Handlungen, die man mit ihr vorgenommen u.s.w. Sie wurde daruͤber in eine un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0074" n="74"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="2">
          <head><choice><corr>Drittes</corr><sic>Zweites</sic></choice> Stu&#x0364;ck zur Seelenkrankheitskunde.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head>15-18.</head><lb/>
            <p>Ein junges Frauenzimmer hatte an                         einer heftigen Nervenschwa&#x0364;che lange krank gelegen, und war endlich allem                         Ansehen nach gestorben, und als man sich aller <choice><corr>Merkmale</corr><sic>Merkmalen</sic></choice> des Todes                         versichert hatte, brachte man sie aus dem Zimmer, legte sie in einen Sarg,                         und bestimmte ihren Begra&#x0364;bnißtag.</p>
            <p>Der Tag erschien, es wurden nach der                         Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thu&#x0364;re gesungen, und als man                         endlich den Sarg zunageln und wegtragen wollte, gab sie von sich Zeichen des                         Lebens, schlug mit einem erba&#x0364;rmlichen kreischenden Geschrei die Augen auf,                         und bekam die heftigsten Konvulsionen, wovon sie durch Hu&#x0364;lfe der Aerzte nach                         einigen Tagen wieder hergestellt wurde. Sie erza&#x0364;hlte nachher von sich, es                         sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben wa&#x0364;re, und                         doch hat sie alles deutlich vernommen, was außer ihr wa&#x0364;hrend dieses                         Todesschlafs vorgegangen, alle Reden, die man in Ansehung ihrer gea&#x0364;ußert,                         alle Handlungen, die man mit ihr vorgenommen u.s.w. Sie wurde daru&#x0364;ber in                         eine un-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0074] Drittes Stuͤck zur Seelenkrankheitskunde. 15-18. Ein junges Frauenzimmer hatte an einer heftigen Nervenschwaͤche lange krank gelegen, und war endlich allem Ansehen nach gestorben, und als man sich aller Merkmale des Todes versichert hatte, brachte man sie aus dem Zimmer, legte sie in einen Sarg, und bestimmte ihren Begraͤbnißtag. Der Tag erschien, es wurden nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thuͤre gesungen, und als man endlich den Sarg zunageln und wegtragen wollte, gab sie von sich Zeichen des Lebens, schlug mit einem erbaͤrmlichen kreischenden Geschrei die Augen auf, und bekam die heftigsten Konvulsionen, wovon sie durch Huͤlfe der Aerzte nach einigen Tagen wieder hergestellt wurde. Sie erzaͤhlte nachher von sich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben waͤre, und doch hat sie alles deutlich vernommen, was außer ihr waͤhrend dieses Todesschlafs vorgegangen, alle Reden, die man in Ansehung ihrer geaͤußert, alle Handlungen, die man mit ihr vorgenommen u.s.w. Sie wurde daruͤber in eine un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/74
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/74>, abgerufen am 02.05.2024.