Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.
"Wenn man die Materie von der Form absondern will, um sie besonders zu betrachten; so pflegt man von einer Vergleichung mit den Werken der Kunst auszugehen. Auf diese Weise sehen wir die Pythagoräer, die Platoniker, und die Peripatetiker verfahren. Das erste beste Handwerk kann hier zum Beispiel dienen. So liegt den Arbeiten des Tischlers, das Holz; den Arbeiten des Schmiedes das Eisen zum Grunde. Jeder bringt aus einem und immer nur demselben, aber seiner Kunst besonders geneigten Stoffe, eine Mannigfaltigkeit verschiedener Dinge hervor, deren Gestalt, Art, Beschaffenheit und Gebrauch zwar nicht aus der Natur und dem Eigenthümlichen des Stoffes hergeleitet werden kann; aber welche doch auch schlechterdings nicht durch die Kunst allein und bloß für sich bestehen könnten. Eben so verhält es sich in Absicht der Natur; doch mit dem wichtigen Unterschiede, daß die Kunst eine schon gebildete und mannigfaltige Materie, deren bloße Oberfläche sie verändert, aus den Händen der Natur empfängt. Die Natur würket aus dem Mittelpunkte gleichsam ihres Gegenstandes, einer durchaus formlosen Materie; und dieser subjektive Gegenstand ist nur ein einziger und einfacher, dem sie alle seine Verschie-
»Wenn man die Materie von der Form absondern will, um sie besonders zu betrachten; so pflegt man von einer Vergleichung mit den Werken der Kunst auszugehen. Auf diese Weise sehen wir die Pythagoraͤer, die Platoniker, und die Peripatetiker verfahren. Das erste beste Handwerk kann hier zum Beispiel dienen. So liegt den Arbeiten des Tischlers, das Holz; den Arbeiten des Schmiedes das Eisen zum Grunde. Jeder bringt aus einem und immer nur demselben, aber seiner Kunst besonders geneigten Stoffe, eine Mannigfaltigkeit verschiedener Dinge hervor, deren Gestalt, Art, Beschaffenheit und Gebrauch zwar nicht aus der Natur und dem Eigenthuͤmlichen des Stoffes hergeleitet werden kann; aber welche doch auch schlechterdings nicht durch die Kunst allein und bloß fuͤr sich bestehen koͤnnten. Eben so verhaͤlt es sich in Absicht der Natur; doch mit dem wichtigen Unterschiede, daß die Kunst eine schon gebildete und mannigfaltige Materie, deren bloße Oberflaͤche sie veraͤndert, aus den Haͤnden der Natur empfaͤngt. Die Natur wuͤrket aus dem Mittelpunkte gleichsam ihres Gegenstandes, einer durchaus formlosen Materie; und dieser subjektive Gegenstand ist nur ein einziger und einfacher, dem sie alle seine Verschie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0072" n="72"/><lb/> sondern selbst schon in einer Materie <hi rendition="#b">a priori vorgestellt</hi> wird. Doch sind die Wege Gottes von den unsrigen verschieden. —</p> <p>»Wenn man die Materie von der Form absondern will, um sie besonders zu betrachten; so pflegt man von einer Vergleichung mit den Werken der Kunst auszugehen. Auf diese Weise sehen wir die Pythagoraͤer, die Platoniker, und die Peripatetiker verfahren. Das erste beste Handwerk kann hier zum Beispiel dienen. So liegt den Arbeiten des Tischlers, das Holz; den Arbeiten des Schmiedes das Eisen zum Grunde. Jeder bringt aus einem und immer nur demselben, aber seiner Kunst besonders geneigten Stoffe, eine Mannigfaltigkeit verschiedener Dinge hervor, deren Gestalt, Art, Beschaffenheit und Gebrauch zwar nicht aus der Natur und dem Eigenthuͤmlichen des Stoffes hergeleitet werden kann; aber <choice><corr>welche </corr><sic>welches</sic></choice> doch auch schlechterdings nicht durch die Kunst allein und bloß fuͤr sich bestehen koͤnnten. Eben so verhaͤlt es sich in Absicht der Natur; doch mit dem wichtigen Unterschiede, daß die Kunst eine schon gebildete und mannigfaltige Materie, deren bloße Oberflaͤche sie veraͤndert, aus den Haͤnden der Natur empfaͤngt. Die Natur wuͤrket aus dem Mittelpunkte gleichsam ihres Gegenstandes, einer durchaus formlosen Materie; und dieser subjektive Gegenstand ist nur ein einziger und einfacher, dem sie alle seine Verschie-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0072]
sondern selbst schon in einer Materie a priori vorgestellt wird. Doch sind die Wege Gottes von den unsrigen verschieden. —
»Wenn man die Materie von der Form absondern will, um sie besonders zu betrachten; so pflegt man von einer Vergleichung mit den Werken der Kunst auszugehen. Auf diese Weise sehen wir die Pythagoraͤer, die Platoniker, und die Peripatetiker verfahren. Das erste beste Handwerk kann hier zum Beispiel dienen. So liegt den Arbeiten des Tischlers, das Holz; den Arbeiten des Schmiedes das Eisen zum Grunde. Jeder bringt aus einem und immer nur demselben, aber seiner Kunst besonders geneigten Stoffe, eine Mannigfaltigkeit verschiedener Dinge hervor, deren Gestalt, Art, Beschaffenheit und Gebrauch zwar nicht aus der Natur und dem Eigenthuͤmlichen des Stoffes hergeleitet werden kann; aber welche doch auch schlechterdings nicht durch die Kunst allein und bloß fuͤr sich bestehen koͤnnten. Eben so verhaͤlt es sich in Absicht der Natur; doch mit dem wichtigen Unterschiede, daß die Kunst eine schon gebildete und mannigfaltige Materie, deren bloße Oberflaͤche sie veraͤndert, aus den Haͤnden der Natur empfaͤngt. Die Natur wuͤrket aus dem Mittelpunkte gleichsam ihres Gegenstandes, einer durchaus formlosen Materie; und dieser subjektive Gegenstand ist nur ein einziger und einfacher, dem sie alle seine Verschie-
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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