Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.
Diese Massen, die täglich zerstört werden, und doch der Vernichtung trotzen, die ihr wahres Leben, ihre Harmonie verloren haben, und nun, ohne ihre eigenthümliche Seele, nur noch in dem allverbindenden Geiste der unsterblichen Natur leben, waren meiner Empfindung näher verwandt. Ja! auch ich will in ein anderes Leben hinüber, in eine weitere Sphäre, will die Bänder dieser unglücklichen Zusammensetzung lösen. Jch wünsche keinem meine Erkenntniß, und möge keiner begehren die Wahrheit nackend zu sehen! Jeder taumle in seinem frölichen Wahne dahin; nur Täuschung ist Glück! Gleich einem Schwächling, der einem reizenden Mädchen die Hülle zu entreißen strebt, die ihre Schönheit seinem üppigen Auge verbirgt, und wenn es ihm nun gelungen ist -- bebt, und ein beschämendes Zeugniß seiner Schwäche ablegt, so hat der Mensch keine Ruhe so treibts ihn immer, einen glücklichen Wahn nach den andern zu verlassen, der Wahrheit immer näher zu kommen, bis er endlich, von allem was tröstlich ist hienieden, verlassen, ein Raub der Verzweiflung wird. -- Mein innrer Sinn erkennt es anschaulich: Nichts ist ewig und selbstständig, alles, alles muß sich endlich dem ewigen Gesetz der Zerstörung unterwerfen. Noch haben alle Jahrtausende der Welt keinen Zweck hervorgebracht, auf
Diese Massen, die taͤglich zerstoͤrt werden, und doch der Vernichtung trotzen, die ihr wahres Leben, ihre Harmonie verloren haben, und nun, ohne ihre eigenthuͤmliche Seele, nur noch in dem allverbindenden Geiste der unsterblichen Natur leben, waren meiner Empfindung naͤher verwandt. Ja! auch ich will in ein anderes Leben hinuͤber, in eine weitere Sphaͤre, will die Baͤnder dieser ungluͤcklichen Zusammensetzung loͤsen. Jch wuͤnsche keinem meine Erkenntniß, und moͤge keiner begehren die Wahrheit nackend zu sehen! Jeder taumle in seinem froͤlichen Wahne dahin; nur Taͤuschung ist Gluͤck! Gleich einem Schwaͤchling, der einem reizenden Maͤdchen die Huͤlle zu entreißen strebt, die ihre Schoͤnheit seinem uͤppigen Auge verbirgt, und wenn es ihm nun gelungen ist — bebt, und ein beschaͤmendes Zeugniß seiner Schwaͤche ablegt, so hat der Mensch keine Ruhe so treibts ihn immer, einen gluͤcklichen Wahn nach den andern zu verlassen, der Wahrheit immer naͤher zu kommen, bis er endlich, von allem was troͤstlich ist hienieden, verlassen, ein Raub der Verzweiflung wird. — Mein innrer Sinn erkennt es anschaulich: Nichts ist ewig und selbststaͤndig, alles, alles muß sich endlich dem ewigen Gesetz der Zerstoͤrung unterwerfen. Noch haben alle Jahrtausende der Welt keinen Zweck hervorgebracht, auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0123" n="123"/><lb/> den Ruinen. Hier ward mirs wieder einheimisch.</p> <p>Diese Massen, die taͤglich zerstoͤrt werden, und doch der Vernichtung trotzen, die ihr wahres Leben, ihre Harmonie verloren haben, und nun, ohne ihre eigenthuͤmliche Seele, nur noch in dem allverbindenden Geiste der unsterblichen Natur leben, waren meiner Empfindung naͤher verwandt. Ja! auch ich will in ein anderes Leben hinuͤber, in eine weitere Sphaͤre, will die Baͤnder dieser ungluͤcklichen Zusammensetzung loͤsen.</p> <p>Jch wuͤnsche <choice><corr>keinem</corr><sic>keinen</sic></choice> meine Erkenntniß, und moͤge keiner begehren die Wahrheit nackend zu sehen! Jeder taumle in seinem froͤlichen Wahne dahin; nur Taͤuschung ist Gluͤck! Gleich einem Schwaͤchling, der einem reizenden Maͤdchen die Huͤlle zu entreißen strebt, die ihre Schoͤnheit seinem uͤppigen Auge verbirgt, und wenn es ihm nun gelungen ist — bebt, und ein beschaͤmendes Zeugniß seiner Schwaͤche ablegt, so hat der Mensch keine Ruhe so treibts ihn immer, einen gluͤcklichen Wahn nach den andern zu verlassen, der Wahrheit immer naͤher zu kommen, bis er endlich, von allem was troͤstlich ist hienieden, verlassen, ein Raub der Verzweiflung wird. — Mein innrer Sinn erkennt es anschaulich: Nichts ist ewig und selbststaͤndig, alles, alles muß sich endlich dem ewigen Gesetz der Zerstoͤrung unterwerfen. Noch haben alle Jahrtausende der Welt keinen Zweck hervorgebracht, auf<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [123/0123]
den Ruinen. Hier ward mirs wieder einheimisch.
Diese Massen, die taͤglich zerstoͤrt werden, und doch der Vernichtung trotzen, die ihr wahres Leben, ihre Harmonie verloren haben, und nun, ohne ihre eigenthuͤmliche Seele, nur noch in dem allverbindenden Geiste der unsterblichen Natur leben, waren meiner Empfindung naͤher verwandt. Ja! auch ich will in ein anderes Leben hinuͤber, in eine weitere Sphaͤre, will die Baͤnder dieser ungluͤcklichen Zusammensetzung loͤsen.
Jch wuͤnsche keinem meine Erkenntniß, und moͤge keiner begehren die Wahrheit nackend zu sehen! Jeder taumle in seinem froͤlichen Wahne dahin; nur Taͤuschung ist Gluͤck! Gleich einem Schwaͤchling, der einem reizenden Maͤdchen die Huͤlle zu entreißen strebt, die ihre Schoͤnheit seinem uͤppigen Auge verbirgt, und wenn es ihm nun gelungen ist — bebt, und ein beschaͤmendes Zeugniß seiner Schwaͤche ablegt, so hat der Mensch keine Ruhe so treibts ihn immer, einen gluͤcklichen Wahn nach den andern zu verlassen, der Wahrheit immer naͤher zu kommen, bis er endlich, von allem was troͤstlich ist hienieden, verlassen, ein Raub der Verzweiflung wird. — Mein innrer Sinn erkennt es anschaulich: Nichts ist ewig und selbststaͤndig, alles, alles muß sich endlich dem ewigen Gesetz der Zerstoͤrung unterwerfen. Noch haben alle Jahrtausende der Welt keinen Zweck hervorgebracht, auf
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