Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.
Wie gewiß glaubt' ich, damals am Ziele aller meiner Leiden zu seyn, ach! und nun, wie hofnungslos und elend! Nein, ich erkenn' es, meine Bestimmung in dieser Welt ist, nicht, Glückseligkeit, mein Loos ist -- Schmerz und Kampf und Tod. Jch soll fort: darum werd' ich so gereitzt, so mit Hofnungen getäuscht, und dann mit einemmale zurückgestoßen in mein Elend, und gehöhnt. O Mädchen! -- Nein es ist nicht möglich, ich kann ohne dich nicht leben! -- Jch gieng vollends nach Salbach. Je näher ich dem Orte kam, je länger schlug mir mein Herz. Es ist eine eigene Sache um die Rückerinnerung! Wär' ich mit dem süßen Bewußtseyn ihrer Liebe hieher gekommen, so wär' ich eingegangen, wie ein Sohn in seines Vaters Haus, wo er lange weg war, und nun weiß, daß er mit Freude und Jubel empfangen wird. Jetzt war mirs, als wär ich von einem lieben Orte abgereist, wo ich schon mit tiefem Schmerz auf ewig Abschied genommen hätte, und müßte nun wieder auf wenige Minuten zurück, um noch etwas zu bestellen, oder mitzunehmen, was ich vergessen hatte. All die Lieben, die ich verließ, find ich noch trauernd über mein Scheiden. Sie sehen mich zurückkommen, aber ihr Blick erheitert sich nicht, sie wissen, daß ich hier nicht
Wie gewiß glaubt' ich, damals am Ziele aller meiner Leiden zu seyn, ach! und nun, wie hofnungslos und elend! Nein, ich erkenn' es, meine Bestimmung in dieser Welt ist, nicht, Gluͤckseligkeit, mein Loos ist — Schmerz und Kampf und Tod. Jch soll fort: darum werd' ich so gereitzt, so mit Hofnungen getaͤuscht, und dann mit einemmale zuruͤckgestoßen in mein Elend, und gehoͤhnt. O Maͤdchen! — Nein es ist nicht moͤglich, ich kann ohne dich nicht leben! — Jch gieng vollends nach Salbach. Je naͤher ich dem Orte kam, je laͤnger schlug mir mein Herz. Es ist eine eigene Sache um die Ruͤckerinnerung! Waͤr' ich mit dem suͤßen Bewußtseyn ihrer Liebe hieher gekommen, so waͤr' ich eingegangen, wie ein Sohn in seines Vaters Haus, wo er lange weg war, und nun weiß, daß er mit Freude und Jubel empfangen wird. Jetzt war mirs, als waͤr ich von einem lieben Orte abgereist, wo ich schon mit tiefem Schmerz auf ewig Abschied genommen haͤtte, und muͤßte nun wieder auf wenige Minuten zuruͤck, um noch etwas zu bestellen, oder mitzunehmen, was ich vergessen hatte. All die Lieben, die ich verließ, find ich noch trauernd uͤber mein Scheiden. Sie sehen mich zuruͤckkommen, aber ihr Blick erheitert sich nicht, sie wissen, daß ich hier nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0121" n="121"/><lb/> haͤtte alle Plaͤtzgen noch gewußt, wo sie dies und das gesagt, gethan haͤtte.</p> <p>Wie gewiß glaubt' ich, damals am Ziele aller meiner Leiden zu seyn, ach! und nun, wie hofnungslos und elend!</p> <p>Nein, ich erkenn' es, meine Bestimmung in dieser Welt ist, nicht, Gluͤckseligkeit, mein Loos ist — Schmerz und Kampf und Tod. Jch soll fort: darum werd' ich so gereitzt, so mit Hofnungen getaͤuscht, und dann mit einemmale zuruͤckgestoßen in mein Elend, und <choice><corr>gehoͤhnt.</corr><sic>gehaͤhnt.</sic></choice> O Maͤdchen! — Nein es ist nicht moͤglich, ich kann ohne dich nicht leben! —</p> <p>Jch gieng vollends nach Salbach. Je naͤher ich dem Orte kam, je laͤnger schlug mir mein Herz. Es ist eine eigene Sache um die Ruͤckerinnerung! Waͤr' ich mit dem suͤßen Bewußtseyn ihrer Liebe hieher gekommen, so waͤr' ich eingegangen, wie ein Sohn in seines Vaters Haus, wo er lange weg war, und nun weiß, daß er mit Freude und Jubel empfangen wird. Jetzt war mirs, als waͤr ich von einem lieben Orte abgereist, wo ich schon mit <choice><corr>tiefem</corr><sic>tiefen</sic></choice> Schmerz auf ewig Abschied genommen haͤtte, und muͤßte nun wieder auf wenige Minuten zuruͤck, um noch etwas zu bestellen, oder mitzunehmen, was ich vergessen hatte. All die Lieben, die ich verließ, find ich noch <choice><corr>trauernd</corr><sic>brauernd</sic></choice> uͤber mein Scheiden. Sie sehen mich zuruͤckkommen, aber ihr Blick erheitert sich nicht, sie wissen, daß ich hier nicht<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0121]
haͤtte alle Plaͤtzgen noch gewußt, wo sie dies und das gesagt, gethan haͤtte.
Wie gewiß glaubt' ich, damals am Ziele aller meiner Leiden zu seyn, ach! und nun, wie hofnungslos und elend!
Nein, ich erkenn' es, meine Bestimmung in dieser Welt ist, nicht, Gluͤckseligkeit, mein Loos ist — Schmerz und Kampf und Tod. Jch soll fort: darum werd' ich so gereitzt, so mit Hofnungen getaͤuscht, und dann mit einemmale zuruͤckgestoßen in mein Elend, und gehoͤhnt. O Maͤdchen! — Nein es ist nicht moͤglich, ich kann ohne dich nicht leben! —
Jch gieng vollends nach Salbach. Je naͤher ich dem Orte kam, je laͤnger schlug mir mein Herz. Es ist eine eigene Sache um die Ruͤckerinnerung! Waͤr' ich mit dem suͤßen Bewußtseyn ihrer Liebe hieher gekommen, so waͤr' ich eingegangen, wie ein Sohn in seines Vaters Haus, wo er lange weg war, und nun weiß, daß er mit Freude und Jubel empfangen wird. Jetzt war mirs, als waͤr ich von einem lieben Orte abgereist, wo ich schon mit tiefem Schmerz auf ewig Abschied genommen haͤtte, und muͤßte nun wieder auf wenige Minuten zuruͤck, um noch etwas zu bestellen, oder mitzunehmen, was ich vergessen hatte. All die Lieben, die ich verließ, find ich noch trauernd uͤber mein Scheiden. Sie sehen mich zuruͤckkommen, aber ihr Blick erheitert sich nicht, sie wissen, daß ich hier nicht
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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