Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Setzen Sie einen Menschen in die bestmöglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn -- oder es giebt einen Teufel, der den Menschen zum Bösen Lust macht, und eine Erbsünde, und wer weiß was alle noch für unerklärbare wunderliche Dinge. Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie Jhre Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich früh an Leiden und Entbehren gewöhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter beständiger Resignazion, meine Wünsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen möchte, würde aus meiner Eigenthümlichkeit fließen, und kann in Jhren Grundsätzen freilich nichts ändern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu Jhrer Glückseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wünsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille bürgerliche Häuslichkeit und Familien-Glück, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man glücklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn würde, daß
Setzen Sie einen Menschen in die bestmoͤglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn — oder es giebt einen Teufel, der den Menschen zum Boͤsen Lust macht, und eine Erbsuͤnde, und wer weiß was alle noch fuͤr unerklaͤrbare wunderliche Dinge. Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie Jhre Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich fruͤh an Leiden und Entbehren gewoͤhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter bestaͤndiger Resignazion, meine Wuͤnsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen moͤchte, wuͤrde aus meiner Eigenthuͤmlichkeit fließen, und kann in Jhren Grundsaͤtzen freilich nichts aͤndern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu Jhrer Gluͤckseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wuͤnsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille buͤrgerliche Haͤuslichkeit und Familien-Gluͤck, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man gluͤcklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn wuͤrde, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0089" n="87"/><lb/> Addissen, heißt: entbehre, und schmachte nach einer bessern Zukunft!</p> <p>Setzen Sie einen Menschen in die bestmoͤglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn — oder es giebt einen Teufel, der <choice><corr>den</corr><sic>die</sic></choice> Menschen zum Boͤsen Lust macht, und eine Erbsuͤnde, und wer weiß was alle noch fuͤr unerklaͤrbare wunderliche Dinge.</p> <p><hi rendition="#b">Er.</hi> Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie <choice><corr>Jhre</corr><sic>ihre</sic></choice> Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich fruͤh an Leiden und Entbehren gewoͤhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter bestaͤndiger Resignazion, meine Wuͤnsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen moͤchte, wuͤrde aus meiner Eigenthuͤmlichkeit fließen, und kann in <choice><corr>Jhren</corr><sic>ihren</sic></choice> Grundsaͤtzen freilich nichts aͤndern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu <choice><corr>Jhrer</corr><sic>ihrer</sic></choice> Gluͤckseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wuͤnsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille buͤrgerliche Haͤuslichkeit und Familien-Gluͤck, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man gluͤcklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn wuͤrde, daß<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0089]
Addissen, heißt: entbehre, und schmachte nach einer bessern Zukunft!
Setzen Sie einen Menschen in die bestmoͤglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn — oder es giebt einen Teufel, der den Menschen zum Boͤsen Lust macht, und eine Erbsuͤnde, und wer weiß was alle noch fuͤr unerklaͤrbare wunderliche Dinge.
Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie Jhre Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich fruͤh an Leiden und Entbehren gewoͤhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter bestaͤndiger Resignazion, meine Wuͤnsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen moͤchte, wuͤrde aus meiner Eigenthuͤmlichkeit fließen, und kann in Jhren Grundsaͤtzen freilich nichts aͤndern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu Jhrer Gluͤckseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wuͤnsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille buͤrgerliche Haͤuslichkeit und Familien-Gluͤck, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man gluͤcklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn wuͤrde, daß
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/89>, abgerufen am 16.02.2025. |