Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793. am 25sten Aprill. Zuweilen ist mirs, als gäbs doch noch eine Art von Glückseeligkeit -- wenigstens von Gefühl gegenwärtigen Liebens für mich. Hab' ich nicht Muth und Kraft und eine Verzweiflung in mir, die allen Gefahren Hohn spricht, weil keiner mir etwas zu rauben vermag, das mir werth wäre. Wie! wenn mich das Schicksal geflissentlich auf diesen Punkt hätte bringen wollen? Jch sollte erst Thaten thun, erst dem Leben seinen Preis abverdienen, oder -- es ekelhaft finden, und um die Lust zum Leben anzufrischen, etwas Gefahrvolles unternehmen? O gewiß! Unmöglich kann ja meine Quaal der einzige Zweck meines Daseyns seyn. Jn dem Menschen liegt ja alles, er kann ja, was er will. Der Fisch, den eine unruhige Welle an das Ufer wirft, windet sich auf dem trockenen Sande, und verschmachtet, aber der Mensch verträgt jedes Element. Und war dies nicht vielleicht der Gang, den jeder Held nahm? Er muß sich erst sein Leben verderben, muß nichts mehr darinnen finden, das seines Wunsches werth sey, um es verachten zu können. Die Rückkehr in seine Knabengefilde zu jener ruhigen Glückseeligkeit muß ihm abgeschnitten seyn. Er hat keine Wahl mehr; entweder muß er sich der Verachtung, dem niedrigen schmutzigen Jnsektenleben hingeben, oder mit seinem Elende wuchern. Er fürchtet nichts, weil er nichts zu ver- am 25sten Aprill. Zuweilen ist mirs, als gaͤbs doch noch eine Art von Gluͤckseeligkeit — wenigstens von Gefuͤhl gegenwaͤrtigen Liebens fuͤr mich. Hab' ich nicht Muth und Kraft und eine Verzweiflung in mir, die allen Gefahren Hohn spricht, weil keiner mir etwas zu rauben vermag, das mir werth waͤre. Wie! wenn mich das Schicksal geflissentlich auf diesen Punkt haͤtte bringen wollen? Jch sollte erst Thaten thun, erst dem Leben seinen Preis abverdienen, oder — es ekelhaft finden, und um die Lust zum Leben anzufrischen, etwas Gefahrvolles unternehmen? O gewiß! Unmoͤglich kann ja meine Quaal der einzige Zweck meines Daseyns seyn. Jn dem Menschen liegt ja alles, er kann ja, was er will. Der Fisch, den eine unruhige Welle an das Ufer wirft, windet sich auf dem trockenen Sande, und verschmachtet, aber der Mensch vertraͤgt jedes Element. Und war dies nicht vielleicht der Gang, den jeder Held nahm? Er muß sich erst sein Leben verderben, muß nichts mehr darinnen finden, das seines Wunsches werth sey, um es verachten zu koͤnnen. Die Ruͤckkehr in seine Knabengefilde zu jener ruhigen Gluͤckseeligkeit muß ihm abgeschnitten seyn. Er hat keine Wahl mehr; entweder muß er sich der Verachtung, dem niedrigen schmutzigen Jnsektenleben hingeben, oder mit seinem Elende wuchern. Er fuͤrchtet nichts, weil er nichts zu ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0080" n="78"/><lb/> <div n="3"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right"> am 25sten Aprill.</hi> </dateline> </opener> <p>Zuweilen ist mirs, als gaͤbs doch noch eine Art von Gluͤckseeligkeit — wenigstens von Gefuͤhl gegenwaͤrtigen Liebens fuͤr mich. Hab' ich nicht Muth und Kraft und eine Verzweiflung in mir, die allen Gefahren Hohn spricht, weil keiner mir etwas zu rauben vermag, das mir werth waͤre. Wie! wenn mich das Schicksal geflissentlich auf diesen Punkt haͤtte bringen wollen? Jch sollte erst Thaten thun, erst dem Leben seinen Preis abverdienen, oder — es ekelhaft finden, und um die Lust zum Leben anzufrischen, etwas Gefahrvolles unternehmen? O gewiß! Unmoͤglich kann ja meine Quaal der einzige Zweck meines Daseyns seyn. Jn dem Menschen liegt ja alles, er kann ja, was er will. Der Fisch, den eine unruhige Welle an das Ufer wirft, windet sich auf dem trockenen Sande, und verschmachtet, aber der Mensch vertraͤgt jedes Element. Und war dies nicht vielleicht der Gang, den jeder Held nahm? Er muß sich erst sein Leben verderben, muß nichts mehr darinnen finden, das seines Wunsches werth sey, um es verachten zu koͤnnen. Die Ruͤckkehr in seine Knabengefilde zu jener ruhigen Gluͤckseeligkeit muß ihm abgeschnitten seyn. Er hat keine Wahl mehr; entweder muß er sich der Verachtung, dem niedrigen schmutzigen Jnsektenleben hingeben, oder mit seinem Elende wuchern. Er fuͤrchtet nichts, weil er nichts zu ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0080]
am 25sten Aprill. Zuweilen ist mirs, als gaͤbs doch noch eine Art von Gluͤckseeligkeit — wenigstens von Gefuͤhl gegenwaͤrtigen Liebens fuͤr mich. Hab' ich nicht Muth und Kraft und eine Verzweiflung in mir, die allen Gefahren Hohn spricht, weil keiner mir etwas zu rauben vermag, das mir werth waͤre. Wie! wenn mich das Schicksal geflissentlich auf diesen Punkt haͤtte bringen wollen? Jch sollte erst Thaten thun, erst dem Leben seinen Preis abverdienen, oder — es ekelhaft finden, und um die Lust zum Leben anzufrischen, etwas Gefahrvolles unternehmen? O gewiß! Unmoͤglich kann ja meine Quaal der einzige Zweck meines Daseyns seyn. Jn dem Menschen liegt ja alles, er kann ja, was er will. Der Fisch, den eine unruhige Welle an das Ufer wirft, windet sich auf dem trockenen Sande, und verschmachtet, aber der Mensch vertraͤgt jedes Element. Und war dies nicht vielleicht der Gang, den jeder Held nahm? Er muß sich erst sein Leben verderben, muß nichts mehr darinnen finden, das seines Wunsches werth sey, um es verachten zu koͤnnen. Die Ruͤckkehr in seine Knabengefilde zu jener ruhigen Gluͤckseeligkeit muß ihm abgeschnitten seyn. Er hat keine Wahl mehr; entweder muß er sich der Verachtung, dem niedrigen schmutzigen Jnsektenleben hingeben, oder mit seinem Elende wuchern. Er fuͤrchtet nichts, weil er nichts zu ver-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/80>, abgerufen am 16.02.2025. |