Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0071" n="69"/><lb/> dich.</hi> — Vor sechs Jahren, als ich von Jhnen Abschied nahm, da sagt' ich — Sie wissen, ich sagte sehr wenig; mein Herz konnte damals von der Sprache meines Mundes keinen Gebrauch machen, es sandte Thraͤnen, seine zitternde Boten, die Sie anflehen mußten — ihm seinen bittern bittern Schmerz zu glauben. — Damals, bei unserm Abschied — Gott weiß es, Julie, es war eine bange Stunde! Wie ichs immer nicht glauben wollte, immer fuͤr unmoͤglich hielt, mich wie von einem Quaͤlgeiste, der die Menschen in einsamen naͤchtlichen Stunden mit schrecklichen Gestalten aͤngstigt, loszumachen suchte — ach! vergebens. Es war kein Traum, ach! es war die kalte unbeugsame Wirklichkeit. Und doch, Julie hab' ich seitdem noch manchen herben Abschied nehmen muͤssen. Ein Wunsch, eine suͤße Fantasie nach der andern trennte sich seitdem von mir, wie der schoͤnen Tage immer weniger werden, wenn nun der Lenz hin ist, ihm, ihm alles nacheilt, Bluͤthen und Blumen und Waldgesang und gaukelnde Luͤftgen, und die Sonne traurend sich in Nebel verhuͤllt, und der Nord laut heult, daß er alles so leer und oͤde findet, — und ist mir nichts geblieben als mein altes treues Herz, ein Gefaͤhrte all meiner Truͤbsalen, der mit mir gekaͤmpft und geblutet hat, und nun still geworden ist, und sich in keine Sache mehr mischt, und nur, wenn wir ganz allein sind, von unsern Schicksalen, Leiden und Wunden erzaͤhlt, und wie all das hinge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0071]
dich. — Vor sechs Jahren, als ich von Jhnen Abschied nahm, da sagt' ich — Sie wissen, ich sagte sehr wenig; mein Herz konnte damals von der Sprache meines Mundes keinen Gebrauch machen, es sandte Thraͤnen, seine zitternde Boten, die Sie anflehen mußten — ihm seinen bittern bittern Schmerz zu glauben. — Damals, bei unserm Abschied — Gott weiß es, Julie, es war eine bange Stunde! Wie ichs immer nicht glauben wollte, immer fuͤr unmoͤglich hielt, mich wie von einem Quaͤlgeiste, der die Menschen in einsamen naͤchtlichen Stunden mit schrecklichen Gestalten aͤngstigt, loszumachen suchte — ach! vergebens. Es war kein Traum, ach! es war die kalte unbeugsame Wirklichkeit. Und doch, Julie hab' ich seitdem noch manchen herben Abschied nehmen muͤssen. Ein Wunsch, eine suͤße Fantasie nach der andern trennte sich seitdem von mir, wie der schoͤnen Tage immer weniger werden, wenn nun der Lenz hin ist, ihm, ihm alles nacheilt, Bluͤthen und Blumen und Waldgesang und gaukelnde Luͤftgen, und die Sonne traurend sich in Nebel verhuͤllt, und der Nord laut heult, daß er alles so leer und oͤde findet, — und ist mir nichts geblieben als mein altes treues Herz, ein Gefaͤhrte all meiner Truͤbsalen, der mit mir gekaͤmpft und geblutet hat, und nun still geworden ist, und sich in keine Sache mehr mischt, und nur, wenn wir ganz allein sind, von unsern Schicksalen, Leiden und Wunden erzaͤhlt, und wie all das hinge-
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