Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Jch spreche hier im Allgemeinen und gar nicht vom Traume; meine eigentliche Erklärung vom Traume geschiehet erst Seite 21. Nimmt man indessen aus der Erfahrung, daß im Traume die Einbildungskraft herrschend, und das Bewußtseyn unvollkommen ist, so erklärt sich aus meinem genommenen Resultat die Täuschung in diesem Zustande, daß wir darin die Jdeen der Einbildungskraft für äußere Wirklichkeiten halten; Herr M. macht daher von diesem Resultat eine Anwendung auf den Traum, und antizipirt eine Anmerkung. Jch werde sie theilweise hersetzen, und über jeden Theil meine Meinung sagen: "Aber warum ist die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit täuschend?" Jch habe nicht gesagt, daß die Einbildungskraft allein, sondern in Verbindung mit einem unvollkommenen Bewußtseyn täuschend ist, und hiezu waren die Gründe schon angegeben. wo sich täuschen heißt, dasjenige was nicht wirklich ist, für wirklich halten. Nun aber ist der Erklärung des Verfassers zufolge die Unterbrechung der Jdeenreihe ein Kennzeichen der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewustseyn der Erzeugung der Jdeen aus einander nach dem Gesetze der Association ein Kennzeichen der Nichtwirklichkeit; im Traume aber da die Seele gänzlich außer sich geräth, und sich blos mit den ihr vorschwebenden Bildern beschäftigt, urtheilt man
Jch spreche hier im Allgemeinen und gar nicht vom Traume; meine eigentliche Erklaͤrung vom Traume geschiehet erst Seite 21. Nimmt man indessen aus der Erfahrung, daß im Traume die Einbildungskraft herrschend, und das Bewußtseyn unvollkommen ist, so erklaͤrt sich aus meinem genommenen Resultat die Taͤuschung in diesem Zustande, daß wir darin die Jdeen der Einbildungskraft fuͤr aͤußere Wirklichkeiten halten; Herr M. macht daher von diesem Resultat eine Anwendung auf den Traum, und antizipirt eine Anmerkung. Jch werde sie theilweise hersetzen, und uͤber jeden Theil meine Meinung sagen: »Aber warum ist die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit taͤuschend?« Jch habe nicht gesagt, daß die Einbildungskraft allein, sondern in Verbindung mit einem unvollkommenen Bewußtseyn taͤuschend ist, und hiezu waren die Gruͤnde schon angegeben. wo sich taͤuschen heißt, dasjenige was nicht wirklich ist, fuͤr wirklich halten. Nun aber ist der Erklaͤrung des Verfassers zufolge die Unterbrechung der Jdeenreihe ein Kennzeichen der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewustseyn der Erzeugung der Jdeen aus einander nach dem Gesetze der Association ein Kennzeichen der Nichtwirklichkeit; im Traume aber da die Seele gaͤnzlich außer sich geraͤth, und sich blos mit den ihr vorschwebenden Bildern beschaͤftigt, urtheilt man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0113" n="111"/><lb/> wegen der Schwaͤche der Vernunft und des Verstandes nicht auffallen koͤnnen.«</p> <p>Jch spreche hier im Allgemeinen und gar nicht vom Traume; meine eigentliche Erklaͤrung vom Traume geschiehet erst Seite 21. Nimmt man indessen aus der Erfahrung, daß im Traume die Einbildungskraft herrschend, und das Bewußtseyn unvollkommen ist, so erklaͤrt sich aus meinem genommenen Resultat die Taͤuschung in diesem Zustande, daß wir darin die Jdeen der Einbildungskraft fuͤr aͤußere Wirklichkeiten halten; Herr M. macht daher von diesem Resultat eine Anwendung auf den Traum, und antizipirt eine Anmerkung. Jch werde sie theilweise hersetzen, und uͤber jeden Theil meine Meinung sagen: »Aber warum ist die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit taͤuschend?« Jch habe nicht gesagt, daß die Einbildungskraft allein, sondern in Verbindung mit einem unvollkommenen Bewußtseyn taͤuschend ist, und hiezu waren die Gruͤnde schon angegeben. wo <hi rendition="#b">sich taͤuschen</hi> heißt, dasjenige was nicht wirklich ist, fuͤr wirklich halten. Nun aber ist der Erklaͤrung des Verfassers zufolge die Unterbrechung der Jdeenreihe ein Kennzeichen der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewustseyn der Erzeugung der Jdeen aus einander nach dem Gesetze der Association ein Kennzeichen der Nichtwirklichkeit; im Traume aber da die Seele <hi rendition="#b">gaͤnzlich außer sich geraͤth,</hi> und sich blos mit den ihr vorschwebenden Bildern beschaͤftigt, urtheilt man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0113]
wegen der Schwaͤche der Vernunft und des Verstandes nicht auffallen koͤnnen.«
Jch spreche hier im Allgemeinen und gar nicht vom Traume; meine eigentliche Erklaͤrung vom Traume geschiehet erst Seite 21. Nimmt man indessen aus der Erfahrung, daß im Traume die Einbildungskraft herrschend, und das Bewußtseyn unvollkommen ist, so erklaͤrt sich aus meinem genommenen Resultat die Taͤuschung in diesem Zustande, daß wir darin die Jdeen der Einbildungskraft fuͤr aͤußere Wirklichkeiten halten; Herr M. macht daher von diesem Resultat eine Anwendung auf den Traum, und antizipirt eine Anmerkung. Jch werde sie theilweise hersetzen, und uͤber jeden Theil meine Meinung sagen: »Aber warum ist die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit taͤuschend?« Jch habe nicht gesagt, daß die Einbildungskraft allein, sondern in Verbindung mit einem unvollkommenen Bewußtseyn taͤuschend ist, und hiezu waren die Gruͤnde schon angegeben. wo sich taͤuschen heißt, dasjenige was nicht wirklich ist, fuͤr wirklich halten. Nun aber ist der Erklaͤrung des Verfassers zufolge die Unterbrechung der Jdeenreihe ein Kennzeichen der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewustseyn der Erzeugung der Jdeen aus einander nach dem Gesetze der Association ein Kennzeichen der Nichtwirklichkeit; im Traume aber da die Seele gaͤnzlich außer sich geraͤth, und sich blos mit den ihr vorschwebenden Bildern beschaͤftigt, urtheilt man
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/113>, abgerufen am 27.07.2024. |