Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


kann die Uebereinstimmung mit derselben das primitive Kennzeichen nicht seyn, daran wir die Wirklichkeit erkennen. Folgende Bemerkung scheint diese Behauptung zu bestätigen: Kinder, welche seit ihrer Geburt oft herumgetragen worden, geben sehr frühe zu erkennen, daß sie schon Begriffe erlangt haben, da man doch gerade das Gegentheil hiervon vermuthen sollte: die große Menge von Gegenständen, welche sie sehn, sollte sie hindern von irgend einem einen Begriff festzusetzen; wenn aber die erste Bildung, welche ein Kind erlangt, darinn besteht, daß es die Klasse der unterbrochenen Jdeenreihe von der Klasse der stetig fortlaufenden unterscheidet, so wird durch die beständige Abänderung der empfangnen Eindrücke die Kenntniß der unterbrochenen Jdeenreihe, mithin die erste Bildung, befördert.

Wie dem auch sey, so hat das Resultat seine Richtigkeit, welches ich vorhin angezeigt, und in dem 9ten Bande 2ten Stück Seite 10 folgendermaßen ausgedrückt habe: "Aus den Gründen, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden: wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft mahlt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und also die höheren Seelenkräfte unterdrückt, dann ist sie, wenn das Bewußtseyn zugleich unvollkommen ist, auch täuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihen, mithin das Kennzeichen der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verloren geht, und die Ungereimtheiten


kann die Uebereinstimmung mit derselben das primitive Kennzeichen nicht seyn, daran wir die Wirklichkeit erkennen. Folgende Bemerkung scheint diese Behauptung zu bestaͤtigen: Kinder, welche seit ihrer Geburt oft herumgetragen worden, geben sehr fruͤhe zu erkennen, daß sie schon Begriffe erlangt haben, da man doch gerade das Gegentheil hiervon vermuthen sollte: die große Menge von Gegenstaͤnden, welche sie sehn, sollte sie hindern von irgend einem einen Begriff festzusetzen; wenn aber die erste Bildung, welche ein Kind erlangt, darinn besteht, daß es die Klasse der unterbrochenen Jdeenreihe von der Klasse der stetig fortlaufenden unterscheidet, so wird durch die bestaͤndige Abaͤnderung der empfangnen Eindruͤcke die Kenntniß der unterbrochenen Jdeenreihe, mithin die erste Bildung, befoͤrdert.

Wie dem auch sey, so hat das Resultat seine Richtigkeit, welches ich vorhin angezeigt, und in dem 9ten Bande 2ten Stuͤck Seite 10 folgendermaßen ausgedruͤckt habe: »Aus den Gruͤnden, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden: wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft mahlt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und also die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, dann ist sie, wenn das Bewußtseyn zugleich unvollkommen ist, auch taͤuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihen, mithin das Kennzeichen der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verloren geht, und die Ungereimtheiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0112" n="110"/><lb/>
kann die Uebereinstimmung mit                         derselben das primitive Kennzeichen nicht seyn, daran wir die Wirklichkeit                         erkennen. Folgende Bemerkung scheint diese Behauptung zu besta&#x0364;tigen: Kinder,                         welche seit ihrer Geburt oft herumgetragen worden, geben sehr fru&#x0364;he zu                         erkennen, daß sie schon Begriffe erlangt haben, da man doch gerade das                         Gegentheil hiervon vermuthen sollte: die große Menge von Gegensta&#x0364;nden,                         welche sie sehn, sollte sie hindern von irgend <hi rendition="#b">einem</hi> einen Begriff festzusetzen; wenn aber die erste Bildung,                         welche ein Kind erlangt, darinn besteht, daß es die Klasse der                         unterbrochenen Jdeenreihe von der Klasse der stetig fortlaufenden                         unterscheidet, so wird durch die besta&#x0364;ndige Aba&#x0364;nderung der empfangnen                         Eindru&#x0364;cke die Kenntniß der unterbrochenen Jdeenreihe, mithin die erste                         Bildung, befo&#x0364;rdert.</p>
          <p>Wie dem auch sey, so hat das Resultat seine Richtigkeit, welches ich vorhin                         angezeigt, und in dem 9ten Bande 2ten Stu&#x0364;ck Seite 10 folgendermaßen                         ausgedru&#x0364;ckt habe: »Aus den Gru&#x0364;nden, welche bisher vorgetragen worden, kann                         nun folgendes hergeleitet werden: <hi rendition="#b">wenn</hi> die                         Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft mahlt, Begebenheiten mit                         Nachdruck schildert, und also die ho&#x0364;heren Seelenkra&#x0364;fte unterdru&#x0364;ckt, dann ist                         sie, wenn das Bewußtseyn zugleich unvollkommen ist, auch ta&#x0364;uschend, weil die                         Spur der vorhergegangenen Jdeenreihen, mithin das Kennzeichen der innern                         Erzeugung einer Vorstellung oft verloren geht, und die Ungereimtheiten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0112] kann die Uebereinstimmung mit derselben das primitive Kennzeichen nicht seyn, daran wir die Wirklichkeit erkennen. Folgende Bemerkung scheint diese Behauptung zu bestaͤtigen: Kinder, welche seit ihrer Geburt oft herumgetragen worden, geben sehr fruͤhe zu erkennen, daß sie schon Begriffe erlangt haben, da man doch gerade das Gegentheil hiervon vermuthen sollte: die große Menge von Gegenstaͤnden, welche sie sehn, sollte sie hindern von irgend einem einen Begriff festzusetzen; wenn aber die erste Bildung, welche ein Kind erlangt, darinn besteht, daß es die Klasse der unterbrochenen Jdeenreihe von der Klasse der stetig fortlaufenden unterscheidet, so wird durch die bestaͤndige Abaͤnderung der empfangnen Eindruͤcke die Kenntniß der unterbrochenen Jdeenreihe, mithin die erste Bildung, befoͤrdert. Wie dem auch sey, so hat das Resultat seine Richtigkeit, welches ich vorhin angezeigt, und in dem 9ten Bande 2ten Stuͤck Seite 10 folgendermaßen ausgedruͤckt habe: »Aus den Gruͤnden, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden: wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft mahlt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und also die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, dann ist sie, wenn das Bewußtseyn zugleich unvollkommen ist, auch taͤuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihen, mithin das Kennzeichen der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verloren geht, und die Ungereimtheiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/112
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/112>, abgerufen am 28.04.2024.