Morhof, Daniel Georg: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie. Kiel, 1682.Das VIII. Cap. Von der Reime natura, quae non imperfecta tantum sed &vitiosa est in multis. Multa homines na- turae faciunt instinctu, quae insigniter inepta sunt. Dieser Grund ist nicht der Er- heblichkeit/ daß er den Gebrauch der Reimen umstossen solte: Ja es ist vielmehr dieser Schluß gantz unrichtig. Dann was ist die Kunst anders als eine Nach- ahmung der Natur? welche zu einen Grun- de aller Wissenschafften nothwendig ge- setzet werden muß. Eben diese hat in der Griechischen und Lateinischen Spra- che die kurtze und lange Sylben veran- lasset/ wie sie uns den Reim gegeben: und wer will hierin urtheilen/ welches unter diesen beyden ihr würdigstes Ge- schencke sey. Es ist eine grosse Verwegen- heit den allgemeinen Trieb/ den wir bey Italiannern/ Spaniern/ Frantzosen/ Teutschen/ Morgenlanndern und allen Völckern mercken/ als eine nichtswür- dige thonrichte Sache zu verlachen. Man pflegt es vor eine Richtschnur des Rech- ten zu halten/ wann alle Völcker darin über-
Das VIII. Cap. Von der Reime natura, quæ non imperfecta tantum ſed &vitioſa eſt in multis. Multa homines na- turæ faciunt inſtinctu, quæ inſigniter inepta ſunt. Dieſer Grund iſt nicht der Er- heblichkeit/ daß er den Gebrauch der Reimen umſtoſſen ſolte: Ja es iſt vielmehr dieſer Schluß gantz unrichtig. Dann was iſt die Kunſt anders als eine Nach- ahmung der Natur? welche zu einē Grun- de aller Wiſſenſchafften nothwendig ge- ſetzet werden muß. Eben dieſe hat in der Griechiſchen und Lateiniſchen Spra- che die kurtze und lange Sylben veran- laſſet/ wie ſie uns den Reim gegeben: und wer will hierin urtheilen/ welches unter dieſen beyden ihr wuͤrdigſtes Ge- ſchencke ſey. Es iſt eine groſſe Verwegen- heit den allgemeinen Trieb/ den wir bey Italiānern/ Spaniern/ Frantzoſen/ Teutſchen/ Morgenlāndern und allen Voͤlckern mercken/ als eine nichtswuͤr- dige thōrichte Sache zu verlachen. Man pflegt es vor eine Richtſchnur des Rech- ten zu halten/ wann alle Voͤlcker darin uͤber-
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Das VIII. Cap. Von der Reime
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vitioſa eſt in multis. Multa homines na-
turæ faciunt inſtinctu, quæ inſigniter inepta
ſunt. Dieſer Grund iſt nicht der Er-
heblichkeit/ daß er den Gebrauch der
Reimen umſtoſſen ſolte: Ja es iſt vielmehr
dieſer Schluß gantz unrichtig. Dann
was iſt die Kunſt anders als eine Nach-
ahmung der Natur? welche zu einē Grun-
de aller Wiſſenſchafften nothwendig ge-
ſetzet werden muß. Eben dieſe hat in
der Griechiſchen und Lateiniſchen Spra-
che die kurtze und lange Sylben veran-
laſſet/ wie ſie uns den Reim gegeben:
und wer will hierin urtheilen/ welches
unter dieſen beyden ihr wuͤrdigſtes Ge-
ſchencke ſey. Es iſt eine groſſe Verwegen-
heit den allgemeinen Trieb/ den wir bey
Italiānern/ Spaniern/ Frantzoſen/
Teutſchen/ Morgenlāndern und allen
Voͤlckern mercken/ als eine nichtswuͤr-
dige thōrichte Sache zu verlachen. Man
pflegt es vor eine Richtſchnur des Rech-
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Zitationshilfe: | Morhof, Daniel Georg: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie. Kiel, 1682, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morhof_unterricht_1682/586>, abgerufen am 26.06.2024. |