Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die
Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden
Feinde; der grosse Räuberhauptmann und mit ihm die besten
seiner Gesellen starben den Tod freier Männer und ehrlicher
Soldaten (683). Nach dem theuer erkauften Siege ward von
den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius,
die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien
eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Men-
schenhatze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war und
überall die letzten Funken des gewaltigen Brandes zertreten. Die
schmachvoll verlorenen Adler waren also wieder gewonnen --
allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein.
Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das
Städtchen Tempsa 683 von einer Räuberschaar eingenommen
ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betrof-
fenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich ein-
fand, galt doch derselbe officiell als in Italien wiederhergestellt;
und wenigstens zeugten längs der Strasse von Capua nach Rom
die sechstausend Kreuze, die gefangene Sclaven trugen, von der
neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des aner-
kannten Rechts über das rebellirende lebendige Eigen.

Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Decennium
der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige den Le-
bensnerv der Nation nothwendig berührende Gefahr hatte nir-
gends weder im Innern noch im Aeussern sich hervorgethan;
weder in der Insurrection des Lepidus noch in den Emigran-
tenhaufen und Guerillaschaaren des Sertorius noch in den thra-
kisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen noch in den
Piraten- und Sclavenaufständen lag eine solche enthalten; und
dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Exi-
stenz gefochten. Die Ursache war, dass die Aufgaben, so lange
sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben;
die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmassregeln erzeugte
die entsetzlichsten Missstände und Unglücksfälle und schuf ab-
hängige Klassen und machtlose Reiche in ebenbürtige Gegner um.
Die Demokratie zwar und die Sclaveninsurrection hatte man be-
siegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder
innerlich gehoben noch äusserlich gekräftigt. Es war keine Ehre,
dass die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in
einem achtjährigen mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten
Kampfe des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen
Guerillas nicht Herr geworden waren, dass erst der Mordstahl sei-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die
Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden
Feinde; der groſse Räuberhauptmann und mit ihm die besten
seiner Gesellen starben den Tod freier Männer und ehrlicher
Soldaten (683). Nach dem theuer erkauften Siege ward von
den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius,
die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien
eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Men-
schenhatze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war und
überall die letzten Funken des gewaltigen Brandes zertreten. Die
schmachvoll verlorenen Adler waren also wieder gewonnen —
allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein.
Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das
Städtchen Tempsa 683 von einer Räuberschaar eingenommen
ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betrof-
fenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich ein-
fand, galt doch derselbe officiell als in Italien wiederhergestellt;
und wenigstens zeugten längs der Straſse von Capua nach Rom
die sechstausend Kreuze, die gefangene Sclaven trugen, von der
neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des aner-
kannten Rechts über das rebellirende lebendige Eigen.

Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Decennium
der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige den Le-
bensnerv der Nation nothwendig berührende Gefahr hatte nir-
gends weder im Innern noch im Aeuſsern sich hervorgethan;
weder in der Insurrection des Lepidus noch in den Emigran-
tenhaufen und Guerillaschaaren des Sertorius noch in den thra-
kisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen noch in den
Piraten- und Sclavenaufständen lag eine solche enthalten; und
dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Exi-
stenz gefochten. Die Ursache war, daſs die Aufgaben, so lange
sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben;
die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaſsregeln erzeugte
die entsetzlichsten Miſsstände und Unglücksfälle und schuf ab-
hängige Klassen und machtlose Reiche in ebenbürtige Gegner um.
Die Demokratie zwar und die Sclaveninsurrection hatte man be-
siegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder
innerlich gehoben noch äuſserlich gekräftigt. Es war keine Ehre,
daſs die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in
einem achtjährigen mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten
Kampfe des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen
Guerillas nicht Herr geworden waren, daſs erst der Mordstahl sei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="80"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/>
zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die<lb/>
Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden<lb/>
Feinde; der gro&#x017F;se Räuberhauptmann und mit ihm die besten<lb/>
seiner Gesellen starben den Tod freier Männer und ehrlicher<lb/>
Soldaten (683). Nach dem theuer erkauften Siege ward von<lb/>
den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius,<lb/>
die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien<lb/>
eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Men-<lb/>
schenhatze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war und<lb/>
überall die letzten Funken des gewaltigen Brandes zertreten. Die<lb/>
schmachvoll verlorenen Adler waren also wieder gewonnen &#x2014;<lb/>
allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein.<lb/>
Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das<lb/>
Städtchen Tempsa 683 von einer Räuberschaar eingenommen<lb/>
ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betrof-<lb/>
fenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich ein-<lb/>
fand, galt doch derselbe officiell als in Italien wiederhergestellt;<lb/>
und wenigstens zeugten längs der Stra&#x017F;se von Capua nach Rom<lb/>
die sechstausend Kreuze, die gefangene Sclaven trugen, von der<lb/>
neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des aner-<lb/>
kannten Rechts über das rebellirende lebendige Eigen.</p><lb/>
          <p>Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Decennium<lb/>
der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige den Le-<lb/>
bensnerv der Nation nothwendig berührende Gefahr hatte nir-<lb/>
gends weder im Innern noch im Aeu&#x017F;sern sich hervorgethan;<lb/>
weder in der Insurrection des Lepidus noch in den Emigran-<lb/>
tenhaufen und Guerillaschaaren des Sertorius noch in den thra-<lb/>
kisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen noch in den<lb/>
Piraten- und Sclavenaufständen lag eine solche enthalten; und<lb/>
dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Exi-<lb/>
stenz gefochten. Die Ursache war, da&#x017F;s die Aufgaben, so lange<lb/>
sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben;<lb/>
die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsma&#x017F;sregeln erzeugte<lb/>
die entsetzlichsten Mi&#x017F;sstände und Unglücksfälle und schuf ab-<lb/>
hängige Klassen und machtlose Reiche in ebenbürtige Gegner um.<lb/>
Die Demokratie zwar und die Sclaveninsurrection hatte man be-<lb/>
siegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder<lb/>
innerlich gehoben noch äu&#x017F;serlich gekräftigt. Es war keine Ehre,<lb/>
da&#x017F;s die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in<lb/>
einem achtjährigen mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten<lb/>
Kampfe des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen<lb/>
Guerillas nicht Herr geworden waren, da&#x017F;s erst der Mordstahl sei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0090] FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden Feinde; der groſse Räuberhauptmann und mit ihm die besten seiner Gesellen starben den Tod freier Männer und ehrlicher Soldaten (683). Nach dem theuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius, die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Men- schenhatze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war und überall die letzten Funken des gewaltigen Brandes zertreten. Die schmachvoll verlorenen Adler waren also wieder gewonnen — allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein. Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Städtchen Tempsa 683 von einer Räuberschaar eingenommen ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betrof- fenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich ein- fand, galt doch derselbe officiell als in Italien wiederhergestellt; und wenigstens zeugten längs der Straſse von Capua nach Rom die sechstausend Kreuze, die gefangene Sclaven trugen, von der neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des aner- kannten Rechts über das rebellirende lebendige Eigen. Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Decennium der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige den Le- bensnerv der Nation nothwendig berührende Gefahr hatte nir- gends weder im Innern noch im Aeuſsern sich hervorgethan; weder in der Insurrection des Lepidus noch in den Emigran- tenhaufen und Guerillaschaaren des Sertorius noch in den thra- kisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen noch in den Piraten- und Sclavenaufständen lag eine solche enthalten; und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Exi- stenz gefochten. Die Ursache war, daſs die Aufgaben, so lange sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben; die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaſsregeln erzeugte die entsetzlichsten Miſsstände und Unglücksfälle und schuf ab- hängige Klassen und machtlose Reiche in ebenbürtige Gegner um. Die Demokratie zwar und die Sclaveninsurrection hatte man be- siegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch äuſserlich gekräftigt. Es war keine Ehre, daſs die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in einem achtjährigen mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten Kampfe des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen Guerillas nicht Herr geworden waren, daſs erst der Mordstahl sei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/90
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/90>, abgerufen am 24.11.2024.