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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
eingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die
Streifereien dieser kleinen anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe
zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwel-
lenden Schaar wurden den Bewohnern der reichen campanischen
Landschaft bald so lästig, dass dieselben, nachdem sie vergeb-
lich versucht hatten sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie
Hülfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammen-
geraffte Abtheilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius
Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sclaven-
schaar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer ge-
ringen Zahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung über jähe Ab-
hänge von dem Berg herabzusteigen und die römischen Posten
anzugreifen: als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifel-
ter Männer unvermuthet auf sich eindringen sah, gab sie Fersen-
geld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg ver-
schaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenn gleich
auch jetzt noch ein grosser Theil von ihnen nichts führte als zu-
gespitzte Knittel, so lagerten sie doch schon fast wie ein Kriegs-
heer in der Ebene, als eine neue und stärkere Abtheilung der
römischen Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius
Varinius, von Rom her in Campanien einrückte. Varinius hatte
einen schwierigen Stand. Seine Truppen, genöthigt dem Feind
gegenüber zu bivouakiren, wurden durch die feuchte Herbst-
witterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitge-
nommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feig-
heit und Unbotmässigkeit die Reihen der römischen Milizen.
Gleich zu Anfang lief eine seiner Abtheilungen vollständig aus-
einander, so dass die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptcorps
zurück, sondern geradeswegs nach Hause gingen. Als sodann
der Befehl zum Sturm auf die feindlichen Verschanzungen gege-
ben ward, weigerte sich der grösste Theil der Milizen ihm Folge
zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die
Stand hielten, gegen die Räuberschaar auf; allein er fand sie nicht
mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen
und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) ge-
wendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht weh-
ren konnte, dass sie über den Silarus zurückwich in das innere
Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch
dorthin folgte Varinius. Hier endlich stellte der verachtete Feind
sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf
stattfand, waren zum Nachtheil der Römer; die Soldaten, so
ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlu-

DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
eingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die
Streifereien dieser kleinen anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe
zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwel-
lenden Schaar wurden den Bewohnern der reichen campanischen
Landschaft bald so lästig, daſs dieselben, nachdem sie vergeb-
lich versucht hatten sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie
Hülfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammen-
geraffte Abtheilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius
Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sclaven-
schaar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer ge-
ringen Zahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung über jähe Ab-
hänge von dem Berg herabzusteigen und die römischen Posten
anzugreifen: als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifel-
ter Männer unvermuthet auf sich eindringen sah, gab sie Fersen-
geld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg ver-
schaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenn gleich
auch jetzt noch ein groſser Theil von ihnen nichts führte als zu-
gespitzte Knittel, so lagerten sie doch schon fast wie ein Kriegs-
heer in der Ebene, als eine neue und stärkere Abtheilung der
römischen Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius
Varinius, von Rom her in Campanien einrückte. Varinius hatte
einen schwierigen Stand. Seine Truppen, genöthigt dem Feind
gegenüber zu bivouakiren, wurden durch die feuchte Herbst-
witterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitge-
nommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feig-
heit und Unbotmäſsigkeit die Reihen der römischen Milizen.
Gleich zu Anfang lief eine seiner Abtheilungen vollständig aus-
einander, so daſs die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptcorps
zurück, sondern geradeswegs nach Hause gingen. Als sodann
der Befehl zum Sturm auf die feindlichen Verschanzungen gege-
ben ward, weigerte sich der gröſste Theil der Milizen ihm Folge
zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die
Stand hielten, gegen die Räuberschaar auf; allein er fand sie nicht
mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen
und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) ge-
wendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht weh-
ren konnte, daſs sie über den Silarus zurückwich in das innere
Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch
dorthin folgte Varinius. Hier endlich stellte der verachtete Feind
sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf
stattfand, waren zum Nachtheil der Römer; die Soldaten, so
ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlu-

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[75/0085] DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. eingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwel- lenden Schaar wurden den Bewohnern der reichen campanischen Landschaft bald so lästig, daſs dieselben, nachdem sie vergeb- lich versucht hatten sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hülfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammen- geraffte Abtheilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sclaven- schaar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer ge- ringen Zahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung über jähe Ab- hänge von dem Berg herabzusteigen und die römischen Posten anzugreifen: als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifel- ter Männer unvermuthet auf sich eindringen sah, gab sie Fersen- geld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg ver- schaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenn gleich auch jetzt noch ein groſser Theil von ihnen nichts führte als zu- gespitzte Knittel, so lagerten sie doch schon fast wie ein Kriegs- heer in der Ebene, als eine neue und stärkere Abtheilung der römischen Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius Varinius, von Rom her in Campanien einrückte. Varinius hatte einen schwierigen Stand. Seine Truppen, genöthigt dem Feind gegenüber zu bivouakiren, wurden durch die feuchte Herbst- witterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitge- nommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feig- heit und Unbotmäſsigkeit die Reihen der römischen Milizen. Gleich zu Anfang lief eine seiner Abtheilungen vollständig aus- einander, so daſs die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptcorps zurück, sondern geradeswegs nach Hause gingen. Als sodann der Befehl zum Sturm auf die feindlichen Verschanzungen gege- ben ward, weigerte sich der gröſste Theil der Milizen ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die Stand hielten, gegen die Räuberschaar auf; allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) ge- wendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht weh- ren konnte, daſs sie über den Silarus zurückwich in das innere Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch dorthin folgte Varinius. Hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren zum Nachtheil der Römer; die Soldaten, so ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlu-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/85>, abgerufen am 25.11.2024.