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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
Verfasser der ,Schmeichelredekunst', Aristodemos von Nysa (um
700) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, dass Homeros
ein geborener Römer gewesen sei! In demselben Masse wie das
Treiben der griechischen Litteraten in Rom stieg auch bei den
Römern selbst die litterarische Thätigkeit und das litterarische
Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere
Geschmack des scipionischen Zeitalters gänzlich beseitigt hatte,
tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun ein-
mal Weltsprache und eine griechische Schrift fand ein ganz an-
deres Publicum als eine lateinische; darum liessen wie die Kö-
nige von Armenien und Mauretanien so auch römische Vornehme,
wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus,
Quintus Scaevola (Volkstribun 700), gelegentlich griechische
Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indess dergleichen
griechische Schriftstellerei geborener Römer blieb Nebensache
und beinahe Spielerei; die litterarischen wie die politischen Par-
teien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der
italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrun-
genen Nationalität. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer
Schriftstellerei wenigstens über Mangel an Rührigkeit sich nicht
beklagen. Es regnete in Rom Bücher und Flugschriften aller Art
und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie
nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publicationen waren
zur stehenden Jugendsünde regerer Naturen geworden und auch
damals pries man denjenigen glücklich, dessen Jugendgedichte
die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Hand-
werk einmal verstand, schrieb ohne Mühe auf einen Ansatz seine
fünfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu
tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die
Frauenwelt betheiligte sich lebhaft an diesem litterarischen Trei-
ben; die Damen beschränkten sich nicht darauf Tanz und Musik
zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Con-
versation und sprachen vortrefflich über griechische wie latei-
nische Litteratur; und wenn die Poesie auf die Mädchenherzen
Sturm lief, so capitulirte auch die belagerte Festung nicht selten
gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr
das elegante Spielzeug der grossen Kinder beiderlei Geschlechts;
poetische Billets und gemeinschaftliche poetische Uebungen und
Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewöhnli-
ches und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in
der Hauptstadt Anstalten eröffnet, in denen unflügge lateinische
Poeten das Versemachen für Geld erlernen konnten. In Folge des

LITTERATUR.
Verfasser der ‚Schmeichelredekunst‘, Aristodemos von Nysa (um
700) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, daſs Homeros
ein geborener Römer gewesen sei! In demselben Maſse wie das
Treiben der griechischen Litteraten in Rom stieg auch bei den
Römern selbst die litterarische Thätigkeit und das litterarische
Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere
Geschmack des scipionischen Zeitalters gänzlich beseitigt hatte,
tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun ein-
mal Weltsprache und eine griechische Schrift fand ein ganz an-
deres Publicum als eine lateinische; darum lieſsen wie die Kö-
nige von Armenien und Mauretanien so auch römische Vornehme,
wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus,
Quintus Scaevola (Volkstribun 700), gelegentlich griechische
Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indeſs dergleichen
griechische Schriftstellerei geborener Römer blieb Nebensache
und beinahe Spielerei; die litterarischen wie die politischen Par-
teien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der
italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrun-
genen Nationalität. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer
Schriftstellerei wenigstens über Mangel an Rührigkeit sich nicht
beklagen. Es regnete in Rom Bücher und Flugschriften aller Art
und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie
nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publicationen waren
zur stehenden Jugendsünde regerer Naturen geworden und auch
damals pries man denjenigen glücklich, dessen Jugendgedichte
die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Hand-
werk einmal verstand, schrieb ohne Mühe auf einen Ansatz seine
fünfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu
tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die
Frauenwelt betheiligte sich lebhaft an diesem litterarischen Trei-
ben; die Damen beschränkten sich nicht darauf Tanz und Musik
zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Con-
versation und sprachen vortrefflich über griechische wie latei-
nische Litteratur; und wenn die Poesie auf die Mädchenherzen
Sturm lief, so capitulirte auch die belagerte Festung nicht selten
gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr
das elegante Spielzeug der groſsen Kinder beiderlei Geschlechts;
poetische Billets und gemeinschaftliche poetische Uebungen und
Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewöhnli-
ches und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in
der Hauptstadt Anstalten eröffnet, in denen unflügge lateinische
Poeten das Versemachen für Geld erlernen konnten. In Folge des

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[539/0549] LITTERATUR. Verfasser der ‚Schmeichelredekunst‘, Aristodemos von Nysa (um 700) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, daſs Homeros ein geborener Römer gewesen sei! In demselben Maſse wie das Treiben der griechischen Litteraten in Rom stieg auch bei den Römern selbst die litterarische Thätigkeit und das litterarische Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere Geschmack des scipionischen Zeitalters gänzlich beseitigt hatte, tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun ein- mal Weltsprache und eine griechische Schrift fand ein ganz an- deres Publicum als eine lateinische; darum lieſsen wie die Kö- nige von Armenien und Mauretanien so auch römische Vornehme, wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus, Quintus Scaevola (Volkstribun 700), gelegentlich griechische Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indeſs dergleichen griechische Schriftstellerei geborener Römer blieb Nebensache und beinahe Spielerei; die litterarischen wie die politischen Par- teien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrun- genen Nationalität. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer Schriftstellerei wenigstens über Mangel an Rührigkeit sich nicht beklagen. Es regnete in Rom Bücher und Flugschriften aller Art und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publicationen waren zur stehenden Jugendsünde regerer Naturen geworden und auch damals pries man denjenigen glücklich, dessen Jugendgedichte die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Hand- werk einmal verstand, schrieb ohne Mühe auf einen Ansatz seine fünfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die Frauenwelt betheiligte sich lebhaft an diesem litterarischen Trei- ben; die Damen beschränkten sich nicht darauf Tanz und Musik zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Con- versation und sprachen vortrefflich über griechische wie latei- nische Litteratur; und wenn die Poesie auf die Mädchenherzen Sturm lief, so capitulirte auch die belagerte Festung nicht selten gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr das elegante Spielzeug der groſsen Kinder beiderlei Geschlechts; poetische Billets und gemeinschaftliche poetische Uebungen und Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewöhnli- ches und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in der Hauptstadt Anstalten eröffnet, in denen unflügge lateinische Poeten das Versemachen für Geld erlernen konnten. In Folge des

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/549>, abgerufen am 16.07.2024.