Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.Fünftes Buch. Kapitel XII. sellschaft und der Vulgarsprache des gemeinen Lebens. Jenesselbst war ein Erzeugniss der specifischen italischen Bildung; schon in dem scipionischen Kreise war das ,reine Latein' Stich- wort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr völlig naiv gesprochen, sondern in bewusstem Unterschied von der Sprache des grossen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer merkwürdigen Reaction gegen den bisher in der höheren Um- gangssprache und demnach auch in der Litteratur alleinherr- schenden Klassicismus: eine Reaction, die innerlich und äusser- lich mit der gleichartigen Sprachreaction in Griechenland eng zusammenhing. Der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die zahlreichen an ihn sich anschliessenden klein- asiatischen Rhetoren und Litteraten begannen um diese Zeit sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Atticismus. Sie forderten das Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Ka- rien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des gros- sen Publicums. Gegen den Grundsatz liess sich nicht viel einwen- den; nur konnte freilich das Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge und Reinheit der Production gänzlich verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und dem Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung entsprungenen Asterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte hier zu schweigen, so war schon der Stil dieser Asiaten natürlicher Weise zerhackt und ohne Cadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und manierirt;,wer He- gesias kennt', sagt Cicero, ,der weiss, was albern ist.' -- Dennoch machte dieser neue Stil seinen Weg auch in die lateinische Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vo- rigen Epoche in den lateinischen Jugendunterricht sich einge- drängt hatte (II, 468), zu Anfang der gegenwärtigen den letzten Schritt that und mit Quintus Hortensius (640--704), dem ge- feiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Red- nerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateini- schen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng sich an; und das römische Publicum, nicht mehr das rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich eifrig den Neuerer, der es verstand dem Vulgarismus den Schein kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von grosser Be- deutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst Fünftes Buch. Kapitel XII. sellschaft und der Vulgarsprache des gemeinen Lebens. Jenesselbst war ein Erzeugniſs der specifischen italischen Bildung; schon in dem scipionischen Kreise war das ‚reine Latein‘ Stich- wort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr völlig naiv gesprochen, sondern in bewuſstem Unterschied von der Sprache des groſsen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer merkwürdigen Reaction gegen den bisher in der höheren Um- gangssprache und demnach auch in der Litteratur alleinherr- schenden Klassicismus: eine Reaction, die innerlich und äuſser- lich mit der gleichartigen Sprachreaction in Griechenland eng zusammenhing. Der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die zahlreichen an ihn sich anschlieſsenden klein- asiatischen Rhetoren und Litteraten begannen um diese Zeit sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Atticismus. Sie forderten das Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Ka- rien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des gros- sen Publicums. Gegen den Grundsatz lieſs sich nicht viel einwen- den; nur konnte freilich das Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge und Reinheit der Production gänzlich verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und dem Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung entsprungenen Asterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte hier zu schweigen, so war schon der Stil dieser Asiaten natürlicher Weise zerhackt und ohne Cadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und manierirt;‚wer He- gesias kennt‘, sagt Cicero, ‚der weiſs, was albern ist.‘ — Dennoch machte dieser neue Stil seinen Weg auch in die lateinische Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vo- rigen Epoche in den lateinischen Jugendunterricht sich einge- drängt hatte (II, 468), zu Anfang der gegenwärtigen den letzten Schritt that und mit Quintus Hortensius (640—704), dem ge- feiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Red- nerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateini- schen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng sich an; und das römische Publicum, nicht mehr das rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich eifrig den Neuerer, der es verstand dem Vulgarismus den Schein kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von groſser Be- deutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0544" n="534"/><fw place="top" type="header">Fünftes Buch. Kapitel XII.</fw><lb/> sellschaft und der Vulgarsprache des gemeinen Lebens. 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Sie forderten das<lb/> Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob<lb/> das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Ka-<lb/> rien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für<lb/> den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des gros-<lb/> sen Publicums. Gegen den Grundsatz lieſs sich nicht viel einwen-<lb/> den; nur konnte freilich das Resultat nicht besser sein als das<lb/> damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge<lb/> und Reinheit der Production gänzlich verloren hatte und nur nach<lb/> dem Zierlichen und dem Brillanten verlangte. Um von den aus<lb/> dieser Richtung entsprungenen Asterkunstgattungen, namentlich<lb/> dem Roman und der romanhaften Geschichte hier zu schweigen,<lb/> so war schon der Stil dieser Asiaten natürlicher Weise zerhackt<lb/> und ohne Cadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll<lb/> Flitter und Bombast, durchaus gemein und manierirt;‚wer He-<lb/> gesias kennt‘, sagt Cicero, ‚der weiſs, was albern ist.‘ — Dennoch<lb/> machte dieser neue Stil seinen Weg auch in die lateinische Welt.<lb/> Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vo-<lb/> rigen Epoche in den lateinischen Jugendunterricht sich einge-<lb/> drängt hatte (II, 468), zu Anfang der gegenwärtigen den letzten<lb/> Schritt that und mit Quintus Hortensius (640—704), dem ge-<lb/> feiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Red-<lb/> nerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateini-<lb/> schen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng<lb/> sich an; und das römische Publicum, nicht mehr das rein und<lb/> streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich<lb/> eifrig den Neuerer, der es verstand dem Vulgarismus den Schein<lb/> kunstgerechter Leistung zu geben. 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Fünftes Buch. Kapitel XII.
sellschaft und der Vulgarsprache des gemeinen Lebens. Jenes
selbst war ein Erzeugniſs der specifischen italischen Bildung;
schon in dem scipionischen Kreise war das ‚reine Latein‘ Stich-
wort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr völlig
naiv gesprochen, sondern in bewuſstem Unterschied von der
Sprache des groſsen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer
merkwürdigen Reaction gegen den bisher in der höheren Um-
gangssprache und demnach auch in der Litteratur alleinherr-
schenden Klassicismus: eine Reaction, die innerlich und äuſser-
lich mit der gleichartigen Sprachreaction in Griechenland eng
zusammenhing. Der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von
Magnesia und die zahlreichen an ihn sich anschlieſsenden klein-
asiatischen Rhetoren und Litteraten begannen um diese Zeit sich
aufzulehnen gegen den orthodoxen Atticismus. Sie forderten das
Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob
das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Ka-
rien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für
den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des gros-
sen Publicums. Gegen den Grundsatz lieſs sich nicht viel einwen-
den; nur konnte freilich das Resultat nicht besser sein als das
damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge
und Reinheit der Production gänzlich verloren hatte und nur nach
dem Zierlichen und dem Brillanten verlangte. Um von den aus
dieser Richtung entsprungenen Asterkunstgattungen, namentlich
dem Roman und der romanhaften Geschichte hier zu schweigen,
so war schon der Stil dieser Asiaten natürlicher Weise zerhackt
und ohne Cadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll
Flitter und Bombast, durchaus gemein und manierirt;‚wer He-
gesias kennt‘, sagt Cicero, ‚der weiſs, was albern ist.‘ — Dennoch
machte dieser neue Stil seinen Weg auch in die lateinische Welt.
Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vo-
rigen Epoche in den lateinischen Jugendunterricht sich einge-
drängt hatte (II, 468), zu Anfang der gegenwärtigen den letzten
Schritt that und mit Quintus Hortensius (640—704), dem ge-
feiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Red-
nerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateini-
schen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng
sich an; und das römische Publicum, nicht mehr das rein und
streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich
eifrig den Neuerer, der es verstand dem Vulgarismus den Schein
kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von groſser Be-
deutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst
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