Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.BILDUNG. LITTERATUR. ners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder me-trischer Verstoss theuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, dass die schulmässig reflectirte Einsicht in der Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward; aber daneben sind nicht zu übersehen die Klagen urtheilsfähiger Zeitgenossen, dass die hel- lenische Bildung in Italien um 690 weit tiefer gestanden als ein Menschenalter zuvor; dass man das reine gute Latein nur selten mehr, am meisten noch aus dem Munde älterer gebildeten Frauen zu hören bekomme; dass die Ueberlieferung echter Bildung, der alte gute lateinische Mutterwitz, die lucilische Feinheit, der ge- bildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmählich ausgingen. Dass Wort und Begriff der ,Urbanität', das heisst der feinen na- tionalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, dass sie herrschte, sondern dass sie im Verschwinden war und dass man in der Sprache und dem Wesen der latinisirten Barbaren oder barbarisirten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanität schneidend empfand. Wo noch der urbane Conversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht völlig verschollenen Weise. -- So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unverändert, nur dass sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, we- niger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und sodann höchstens geduldet hatte, so musste die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Huma- nität war, dieselbe nothwendig in hellenischer Weise von oben herab fördern. Wenn Caesar sämmtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und sämmtlichen Aerzten der Hauptstadt das rö- mische Bürgerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Ein- leitung gefunden werden zu jenen Staatsanstalten, in denen spä- terhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des Rei- ches gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die Grün- dung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer der Zeit, Marcus Varro zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht an die Weltmonarchie auch die Weltlitteratur zu knüpfen. Die sprachliche Entwickelung dieser Zeit knüpfte an den BILDUNG. LITTERATUR. ners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder me-trischer Verstoſs theuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, daſs die schulmäſsig reflectirte Einsicht in der Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward; aber daneben sind nicht zu übersehen die Klagen urtheilsfähiger Zeitgenossen, daſs die hel- lenische Bildung in Italien um 690 weit tiefer gestanden als ein Menschenalter zuvor; daſs man das reine gute Latein nur selten mehr, am meisten noch aus dem Munde älterer gebildeten Frauen zu hören bekomme; daſs die Ueberlieferung echter Bildung, der alte gute lateinische Mutterwitz, die lucilische Feinheit, der ge- bildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmählich ausgingen. Daſs Wort und Begriff der ‚Urbanität‘, das heiſst der feinen na- tionalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, daſs sie herrschte, sondern daſs sie im Verschwinden war und daſs man in der Sprache und dem Wesen der latinisirten Barbaren oder barbarisirten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanität schneidend empfand. Wo noch der urbane Conversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht völlig verschollenen Weise. — So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unverändert, nur daſs sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, we- niger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und sodann höchstens geduldet hatte, so muſste die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Huma- nität war, dieselbe nothwendig in hellenischer Weise von oben herab fördern. Wenn Caesar sämmtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und sämmtlichen Aerzten der Hauptstadt das rö- mische Bürgerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Ein- leitung gefunden werden zu jenen Staatsanstalten, in denen spä- terhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des Rei- ches gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die Grün- dung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer der Zeit, Marcus Varro zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht an die Weltmonarchie auch die Weltlitteratur zu knüpfen. 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Wo noch der urbane Conversationston<lb/> begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es<lb/> ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht völlig<lb/> verschollenen Weise. — So blieb die bisherige Jugendbildung<lb/> ihrem Wesen nach unverändert, nur daſs sie, nicht so sehr durch<lb/> ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, we-<lb/> niger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen<lb/> Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar<lb/> ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und<lb/> sodann höchstens geduldet hatte, so muſste die Regierung des<lb/> neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Huma-<lb/> nität war, dieselbe nothwendig in hellenischer Weise von oben<lb/> herab fördern. 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BILDUNG. LITTERATUR.
ners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder me-
trischer Verstoſs theuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, daſs
die schulmäſsig reflectirte Einsicht in der Muttersprache in immer
weiteren Kreisen Gemeingut ward; aber daneben sind nicht zu
übersehen die Klagen urtheilsfähiger Zeitgenossen, daſs die hel-
lenische Bildung in Italien um 690 weit tiefer gestanden als ein
Menschenalter zuvor; daſs man das reine gute Latein nur selten
mehr, am meisten noch aus dem Munde älterer gebildeten Frauen
zu hören bekomme; daſs die Ueberlieferung echter Bildung, der
alte gute lateinische Mutterwitz, die lucilische Feinheit, der ge-
bildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmählich ausgingen.
Daſs Wort und Begriff der ‚Urbanität‘, das heiſst der feinen na-
tionalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, daſs
sie herrschte, sondern daſs sie im Verschwinden war und daſs
man in der Sprache und dem Wesen der latinisirten Barbaren
oder barbarisirten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanität
schneidend empfand. Wo noch der urbane Conversationston
begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es
ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht völlig
verschollenen Weise. — So blieb die bisherige Jugendbildung
ihrem Wesen nach unverändert, nur daſs sie, nicht so sehr durch
ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, we-
niger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen
Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar
ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und
sodann höchstens geduldet hatte, so muſste die Regierung des
neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Huma-
nität war, dieselbe nothwendig in hellenischer Weise von oben
herab fördern. Wenn Caesar sämmtlichen Lehrern der freien
Wissenschaften und sämmtlichen Aerzten der Hauptstadt das rö-
mische Bürgerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Ein-
leitung gefunden werden zu jenen Staatsanstalten, in denen spä-
terhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des Rei-
ches gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck des neuen
Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die Grün-
dung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek
in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer
der Zeit, Marcus Varro zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so
liegt darin unverkennbar die Absicht an die Weltmonarchie auch
die Weltlitteratur zu knüpfen.
Die sprachliche Entwickelung dieser Zeit knüpfte an den
Gegensatz an zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Ge-
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