Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.BILDUNG. sikalische* sich ein. Dass namentlich die Astronomie, die in derNomenclatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettan- tismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herr- schenden religiösen Schwindel entgegenkam, in Italien von der Jugend regelmässig und eifrig studirt ward, lässt sich auch ander- weitig belegen: Aratos astronomische Lehrgedichte fanden unter allen Werken der alexandrinischen Litteratur am frühesten Ein- gang in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Cursus trat dann noch die aus dem älteren römischen Jugend- unterricht stehen gebliebene Medicin und endlich die dem dama- ligen statt des Ackers Häuser und Villen bauenden vornehmen Rö- mer unentbehrliche Architektur. -- Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die lateinische wie die griechische Bildung an Um- fang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischer Bildung gab dem Unterricht von selbst einen gelehrteren Charakter. Homeros oder Euripides zu exponiren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schüler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrini- schen Poesien, welche überdies auch ihrem Geiste nach der da- maligen römischen Welt weit näher standen als die echte grie- chische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwür- dig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend respectables Alter besassen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Eupho- rions Liebesgedichte, Kallimachos ,Ursachen' und seine Ibis, Lykophrons komisch dunkle Alexandra enthielten in reicher Fülle seltene Vocabeln (glossae), die zum Excerpiren und Interpre- tiren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam aufzu- lösende Sätze und Zusammengeheimnissung verlegener Mythen in weitläufigen Excursen, überhaupt Vorrath an beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwie- rigerer Uebungsstücke; jene Producte, grossentheils Musterar- beiten von Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, für Musterschüler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in bleibenden Platz und förderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend so viel wie * Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Künste, die mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und der nachträglich recipirten vier Disciplinen sich durch das ganze Mittelalter behauptet haben. 34 *
BILDUNG. sikalische* sich ein. Daſs namentlich die Astronomie, die in derNomenclatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettan- tismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herr- schenden religiösen Schwindel entgegenkam, in Italien von der Jugend regelmäſsig und eifrig studirt ward, läſst sich auch ander- weitig belegen: Aratos astronomische Lehrgedichte fanden unter allen Werken der alexandrinischen Litteratur am frühesten Ein- gang in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Cursus trat dann noch die aus dem älteren römischen Jugend- unterricht stehen gebliebene Medicin und endlich die dem dama- ligen statt des Ackers Häuser und Villen bauenden vornehmen Rö- mer unentbehrliche Architektur. — Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die lateinische wie die griechische Bildung an Um- fang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischer Bildung gab dem Unterricht von selbst einen gelehrteren Charakter. Homeros oder Euripides zu exponiren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schüler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrini- schen Poesien, welche überdies auch ihrem Geiste nach der da- maligen römischen Welt weit näher standen als die echte grie- chische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwür- dig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend respectables Alter besaſsen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Eupho- rions Liebesgedichte, Kallimachos ‚Ursachen‘ und seine Ibis, Lykophrons komisch dunkle Alexandra enthielten in reicher Fülle seltene Vocabeln (glossae), die zum Excerpiren und Interpre- tiren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam aufzu- lösende Sätze und Zusammengeheimnissung verlegener Mythen in weitläufigen Excursen, überhaupt Vorrath an beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwie- rigerer Uebungsstücke; jene Producte, groſsentheils Musterar- beiten von Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, für Musterschüler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in bleibenden Platz und förderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend so viel wie * Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Künste, die mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und der nachträglich recipirten vier Disciplinen sich durch das ganze Mittelalter behauptet haben. 34 *
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BILDUNG.
sikalische * sich ein. Daſs namentlich die Astronomie, die in der
Nomenclatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettan-
tismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herr-
schenden religiösen Schwindel entgegenkam, in Italien von der
Jugend regelmäſsig und eifrig studirt ward, läſst sich auch ander-
weitig belegen: Aratos astronomische Lehrgedichte fanden unter
allen Werken der alexandrinischen Litteratur am frühesten Ein-
gang in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen
Cursus trat dann noch die aus dem älteren römischen Jugend-
unterricht stehen gebliebene Medicin und endlich die dem dama-
ligen statt des Ackers Häuser und Villen bauenden vornehmen Rö-
mer unentbehrliche Architektur. — Im Vergleich mit der vorigen
Epoche nimmt die lateinische wie die griechische Bildung an Um-
fang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an
Feinheit. Der steigende Drang nach griechischer Bildung gab dem
Unterricht von selbst einen gelehrteren Charakter. Homeros
oder Euripides zu exponiren war am Ende keine Kunst; Lehrer
und Schüler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrini-
schen Poesien, welche überdies auch ihrem Geiste nach der da-
maligen römischen Welt weit näher standen als die echte grie-
chische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwür-
dig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend respectables
Alter besaſsen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Eupho-
rions Liebesgedichte, Kallimachos ‚Ursachen‘ und seine Ibis,
Lykophrons komisch dunkle Alexandra enthielten in reicher Fülle
seltene Vocabeln (glossae), die zum Excerpiren und Interpre-
tiren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam aufzu-
lösende Sätze und Zusammengeheimnissung verlegener Mythen
in weitläufigen Excursen, überhaupt Vorrath an beschwerlicher
Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwie-
rigerer Uebungsstücke; jene Producte, groſsentheils Musterar-
beiten von Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben,
für Musterschüler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in
bleibenden Platz und förderten allerdings das Wissen, aber auf
Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde
Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend so viel wie
* Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Künste,
die mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und
der nachträglich recipirten vier Disciplinen sich durch das ganze Mittelalter
behauptet haben.
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