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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
von den römischen, hellenischen, phönikischen und sonstigen
Rechtseigenthümlichkeiten abstrahirend, auf die allem Verkehr zu
Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurückzu-
gehen. Hier knöpfte die neuere Rechtsbildung an. Sie setzte an
die Stelle des alten praktisch unbrauchbar gewordenen thatsäch-
lich ein neues Stadtrecht, das zunächst bestimmt war den Verkehr
der römischen Bürger unter sich zu regeln, materiell aber beruhte
auf einem Compromiss zwischen dem National - oder dem Zwölf-
tafelrecht und dem International- oder sogenannten Rechte der
Völker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natürlich mit
zeitgemässen Modificationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und
Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Ver-
mögensverkehr betrafen, also für Eigenthum und Contracte das
Internationalrecht massgebend; ja hier wurde sogar dem localen
Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Bei-
spiel die Wuchergesetzgebung (S. 494) und das Hypothekarinstitut.
Ob auf einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Ur-
heber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung
ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genügende Ant-
wort schuldig bleiben müssen; wir wissen nur, dass diese Reform,
wie natürlich, durch das Stadtgericht erfolgte, dass sie ihren Aus-
druck fand in den jährlich von dem neu antretenden Stadtrichter
zur Nachachtung für die Parteien ergehenden Belehrungen über
die wichtigsten in der beginnenden Jurisdiction einzuhaltenden
Rechtsmaximen (edictum perpetuum praetoris urbani) und dass
diese Reform, wenn auch manche vorbereitende Schritte in frü-
hern Zeiten gethan sein mögen, sicher erst in dieser Epoche ihre
Vollendung und bewusste Formulirung fand. Die neue Rechts-
satzung war theoretisch abstract, insofern die römische Rechts-
anschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich
entäussert hatte, als sie derselben sich bewusst geworden war.
Sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in
die trübe Dämmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine
Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von
bestimmten Behörden für bestimmte concrete Fälle nach festen
Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulirung
nicht bloss fähig, sondern in dem Stadtedict wesentlich schon
theilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner mate-
riell den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie die durch den gestei-
gerten Verkehr gebotenen bequemen Formen für Prozess, Eigen-
thumserwerb, Contractabschluss darbot. Sie war endlich bereits
im Wesentlichen im ganzen Umfang des römischen Reiches allge-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
von den römischen, hellenischen, phönikischen und sonstigen
Rechtseigenthümlichkeiten abstrahirend, auf die allem Verkehr zu
Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurückzu-
gehen. Hier knöpfte die neuere Rechtsbildung an. Sie setzte an
die Stelle des alten praktisch unbrauchbar gewordenen thatsäch-
lich ein neues Stadtrecht, das zunächst bestimmt war den Verkehr
der römischen Bürger unter sich zu regeln, materiell aber beruhte
auf einem Compromiſs zwischen dem National - oder dem Zwölf-
tafelrecht und dem International- oder sogenannten Rechte der
Völker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natürlich mit
zeitgemäſsen Modificationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und
Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Ver-
mögensverkehr betrafen, also für Eigenthum und Contracte das
Internationalrecht maſsgebend; ja hier wurde sogar dem localen
Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Bei-
spiel die Wuchergesetzgebung (S. 494) und das Hypothekarinstitut.
Ob auf einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Ur-
heber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung
ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genügende Ant-
wort schuldig bleiben müssen; wir wissen nur, daſs diese Reform,
wie natürlich, durch das Stadtgericht erfolgte, daſs sie ihren Aus-
druck fand in den jährlich von dem neu antretenden Stadtrichter
zur Nachachtung für die Parteien ergehenden Belehrungen über
die wichtigsten in der beginnenden Jurisdiction einzuhaltenden
Rechtsmaximen (edictum perpetuum praetoris urbani) und daſs
diese Reform, wenn auch manche vorbereitende Schritte in frü-
hern Zeiten gethan sein mögen, sicher erst in dieser Epoche ihre
Vollendung und bewuſste Formulirung fand. Die neue Rechts-
satzung war theoretisch abstract, insofern die römische Rechts-
anschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich
entäuſsert hatte, als sie derselben sich bewuſst geworden war.
Sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in
die trübe Dämmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine
Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von
bestimmten Behörden für bestimmte concrete Fälle nach festen
Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulirung
nicht bloſs fähig, sondern in dem Stadtedict wesentlich schon
theilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner mate-
riell den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie die durch den gestei-
gerten Verkehr gebotenen bequemen Formen für Prozeſs, Eigen-
thumserwerb, Contractabschluſs darbot. Sie war endlich bereits
im Wesentlichen im ganzen Umfang des römischen Reiches allge-

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[518/0528] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. von den römischen, hellenischen, phönikischen und sonstigen Rechtseigenthümlichkeiten abstrahirend, auf die allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurückzu- gehen. Hier knöpfte die neuere Rechtsbildung an. Sie setzte an die Stelle des alten praktisch unbrauchbar gewordenen thatsäch- lich ein neues Stadtrecht, das zunächst bestimmt war den Verkehr der römischen Bürger unter sich zu regeln, materiell aber beruhte auf einem Compromiſs zwischen dem National - oder dem Zwölf- tafelrecht und dem International- oder sogenannten Rechte der Völker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natürlich mit zeitgemäſsen Modificationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Ver- mögensverkehr betrafen, also für Eigenthum und Contracte das Internationalrecht maſsgebend; ja hier wurde sogar dem localen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Bei- spiel die Wuchergesetzgebung (S. 494) und das Hypothekarinstitut. Ob auf einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Ur- heber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genügende Ant- wort schuldig bleiben müssen; wir wissen nur, daſs diese Reform, wie natürlich, durch das Stadtgericht erfolgte, daſs sie ihren Aus- druck fand in den jährlich von dem neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung für die Parteien ergehenden Belehrungen über die wichtigsten in der beginnenden Jurisdiction einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum perpetuum praetoris urbani) und daſs diese Reform, wenn auch manche vorbereitende Schritte in frü- hern Zeiten gethan sein mögen, sicher erst in dieser Epoche ihre Vollendung und bewuſste Formulirung fand. Die neue Rechts- satzung war theoretisch abstract, insofern die römische Rechts- anschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich entäuſsert hatte, als sie derselben sich bewuſst geworden war. Sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in die trübe Dämmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von bestimmten Behörden für bestimmte concrete Fälle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulirung nicht bloſs fähig, sondern in dem Stadtedict wesentlich schon theilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner mate- riell den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie die durch den gestei- gerten Verkehr gebotenen bequemen Formen für Prozeſs, Eigen- thumserwerb, Contractabschluſs darbot. Sie war endlich bereits im Wesentlichen im ganzen Umfang des römischen Reiches allge-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/528>, abgerufen am 28.11.2024.