wieder auf. -- Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalität war nicht neu -- er wäre sonst auch nichts gewesen als ein Fehler--; aber dass er aus schwankenden Entwürfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfängen zu sicherer und concentrirter Grund- legung fortschritt, ist das Werk des dritten und grössten der de- mokratischen Staatsmänner Roms.
Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen Nivellirung des Reichs war die Erhaltung und Aus- dehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimm- ten Nationen unter möglichst rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Stämme. In gewissem Sinne könnte man allerdings neben Römern und Grie- chen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit denselben in der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spie- len bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige nachgiebig zähe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt überall und nirgends heimisch und überall und nirgends mäch- tig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten für die Ju- den jener Zeit kaum mehr als heutzutage Jerusalem für sie be- deutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Ein- heit einen sichtbaren Anhalt in dem Königreich Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Unterthanenschaft der Has- monaeer, sondern in der unermesslichen durch das ganze par- thische und das ganze römische Reich zerstreuten Judenwelt. In Alexandreia namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Städte eigene administrativ und selbst local ab- gegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unsrer Städte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem ,Volksherrn' als oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom bereits vor Caesar die jüdische Bevölkerung war und zu- gleich wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zu- sammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers die- ser Zeit, dass es für den Statthalter bedenklich sei den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zäh- len dürfe nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin wie später mit dem genuesischen und venezianischen, und neben der römischen strömte das Capital allerorts bei der jüdischen
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wieder auf. — Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalität war nicht neu — er wäre sonst auch nichts gewesen als ein Fehler—; aber daſs er aus schwankenden Entwürfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfängen zu sicherer und concentrirter Grund- legung fortschritt, ist das Werk des dritten und gröſsten der de- mokratischen Staatsmänner Roms.
Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen Nivellirung des Reichs war die Erhaltung und Aus- dehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimm- ten Nationen unter möglichst rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Stämme. In gewissem Sinne könnte man allerdings neben Römern und Grie- chen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit denselben in der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spie- len bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige nachgiebig zähe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt überall und nirgends heimisch und überall und nirgends mäch- tig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten für die Ju- den jener Zeit kaum mehr als heutzutage Jerusalem für sie be- deutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Ein- heit einen sichtbaren Anhalt in dem Königreich Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Unterthanenschaft der Has- monaeer, sondern in der unermeſslichen durch das ganze par- thische und das ganze römische Reich zerstreuten Judenwelt. In Alexandreia namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Städte eigene administrativ und selbst local ab- gegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unsrer Städte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem ‚Volksherrn‘ als oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom bereits vor Caesar die jüdische Bevölkerung war und zu- gleich wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zu- sammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers die- ser Zeit, daſs es für den Statthalter bedenklich sei den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zäh- len dürfe nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin wie später mit dem genuesischen und venezianischen, und neben der römischen strömte das Capital allerorts bei der jüdischen
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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wieder auf. — Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches
mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalität war
nicht neu — er wäre sonst auch nichts gewesen als ein Fehler—;
aber daſs er aus schwankenden Entwürfen zu sicherer Fassung,
aus zerstreuten Anfängen zu sicherer und concentrirter Grund-
legung fortschritt, ist das Werk des dritten und gröſsten der de-
mokratischen Staatsmänner Roms.
Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen
und nationalen Nivellirung des Reichs war die Erhaltung und Aus-
dehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimm-
ten Nationen unter möglichst rascher Beseitigung der neben ihr
stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Stämme. In
gewissem Sinne könnte man allerdings neben Römern und Grie-
chen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit denselben in
der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in dem
neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spie-
len bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige
nachgiebig zähe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt
überall und nirgends heimisch und überall und nirgends mäch-
tig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten für die Ju-
den jener Zeit kaum mehr als heutzutage Jerusalem für sie be-
deutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Ein-
heit einen sichtbaren Anhalt in dem Königreich Jerusalem, aber
sie selbst bestand keineswegs in der Unterthanenschaft der Has-
monaeer, sondern in der unermeſslichen durch das ganze par-
thische und das ganze römische Reich zerstreuten Judenwelt. In
Alexandreia namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden
innerhalb dieser Städte eigene administrativ und selbst local ab-
gegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unsrer Städte nicht
ungleich, aber freier gestellt und von einem ‚Volksherrn‘ als
oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in
Rom bereits vor Caesar die jüdische Bevölkerung war und zu-
gleich wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zu-
sammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers die-
ser Zeit, daſs es für den Statthalter bedenklich sei den Juden in
seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zäh-
len dürfe nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel
ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende
Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen
Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin
wie später mit dem genuesischen und venezianischen, und neben
der römischen strömte das Capital allerorts bei der jüdischen
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/516>, abgerufen am 29.11.2024.
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