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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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REPUBLIK UND MONARCHIE.
mitglieder Hungers gestorben waren. Zu dieser gedoppelten
Pressung, von denen jede allein unerträglich war und deren In-
einandergreifen immer besser sich regulirte, kamen dann die all-
gemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch zum grossen
Theil die römische Regierung wenigstens mittelbar die Schuld trug.
In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald
von den römischen Heeren grosse Capitalien aus dem Lande weg-
geschleppt und grössere verdorben. Bei der Nichtigkeit der römi-
schen Land- und Seepolizei wimmelte es überall von Land- und
Seeräubern. Im inneren Kleinasien war die Räuberwirthschaft
endemisch; in Africa und im jenseitigen Spanien machte sie es
nöthig alle ausserhalb der städtischen Ringmauern angelegten Ge-
bäude mit Mauern und Thürmen zu befestigen. Das furchtbare
Uebel der Piraterie ward bereits in einem andern Zusammenhang
geschildert. Die Panaceen des Prohibitivsystems, mit denen der
römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das
unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme
oder Brottheurung eintrat, die Verbote der Gold- oder Getreide-
ausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht
hesser. Die Communalverhältnisse waren fast überall ausser durch
den allgemeinen Nothstand auch noch durch locale Wirren und
Unterschleife der Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Be-
drängnisse nicht etwa vorübergehend, sondern Menschenalter
hindurch auf den Gemeinden und den Einzelnen mit stetigem
unabwendbarem jährlich steigendem Drucke lasteten, musste wohl
der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen
und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo bis zum
Euphrat sich ausbreiten. ,Alle Gemeinden', heisst es in einer
schon 684 veröffentlichten Schrift, ,sind zu Grunde gerichtet';
eben dasselbe wird für Spanien und das narbonensische Gallien,
also die verhältnissmässig ökonomisch noch am leidlichsten ge-
stellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar stan-
den Städte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche
Sclavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen
der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe und sogar der
geduldige Asiate war, nach den Schilderungen römischer Staats-
männer selbst, des Lebens überdrüssig geworden. Wen zu er-
gründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann sowohl in
dem frevelhaften Zufügen, wie in dem nicht minder frevelhaften
Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Criminal-
acten dieser Zeit zusammenlesen, was römische Grosse zu thun,
was Griechen, Syrer und Phöniker zu leiden vermochten. Selbst

REPUBLIK UND MONARCHIE.
mitglieder Hungers gestorben waren. Zu dieser gedoppelten
Pressung, von denen jede allein unerträglich war und deren In-
einandergreifen immer besser sich regulirte, kamen dann die all-
gemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch zum groſsen
Theil die römische Regierung wenigstens mittelbar die Schuld trug.
In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald
von den römischen Heeren groſse Capitalien aus dem Lande weg-
geschleppt und gröſsere verdorben. Bei der Nichtigkeit der römi-
schen Land- und Seepolizei wimmelte es überall von Land- und
Seeräubern. Im inneren Kleinasien war die Räuberwirthschaft
endemisch; in Africa und im jenseitigen Spanien machte sie es
nöthig alle auſserhalb der städtischen Ringmauern angelegten Ge-
bäude mit Mauern und Thürmen zu befestigen. Das furchtbare
Uebel der Piraterie ward bereits in einem andern Zusammenhang
geschildert. Die Panaceen des Prohibitivsystems, mit denen der
römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das
unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme
oder Brottheurung eintrat, die Verbote der Gold- oder Getreide-
ausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht
hesser. Die Communalverhältnisse waren fast überall auſser durch
den allgemeinen Nothstand auch noch durch locale Wirren und
Unterschleife der Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Be-
drängnisse nicht etwa vorübergehend, sondern Menschenalter
hindurch auf den Gemeinden und den Einzelnen mit stetigem
unabwendbarem jährlich steigendem Drucke lasteten, muſste wohl
der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen
und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo bis zum
Euphrat sich ausbreiten. ‚Alle Gemeinden‘, heiſst es in einer
schon 684 veröffentlichten Schrift, ‚sind zu Grunde gerichtet‘;
eben dasselbe wird für Spanien und das narbonensische Gallien,
also die verhältniſsmäſsig ökonomisch noch am leidlichsten ge-
stellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar stan-
den Städte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche
Sclavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen
der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe und sogar der
geduldige Asiate war, nach den Schilderungen römischer Staats-
männer selbst, des Lebens überdrüssig geworden. Wen zu er-
gründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann sowohl in
dem frevelhaften Zufügen, wie in dem nicht minder frevelhaften
Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Criminal-
acten dieser Zeit zusammenlesen, was römische Groſse zu thun,
was Griechen, Syrer und Phöniker zu leiden vermochten. Selbst

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[501/0511] REPUBLIK UND MONARCHIE. mitglieder Hungers gestorben waren. Zu dieser gedoppelten Pressung, von denen jede allein unerträglich war und deren In- einandergreifen immer besser sich regulirte, kamen dann die all- gemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch zum groſsen Theil die römische Regierung wenigstens mittelbar die Schuld trug. In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den römischen Heeren groſse Capitalien aus dem Lande weg- geschleppt und gröſsere verdorben. Bei der Nichtigkeit der römi- schen Land- und Seepolizei wimmelte es überall von Land- und Seeräubern. Im inneren Kleinasien war die Räuberwirthschaft endemisch; in Africa und im jenseitigen Spanien machte sie es nöthig alle auſserhalb der städtischen Ringmauern angelegten Ge- bäude mit Mauern und Thürmen zu befestigen. Das furchtbare Uebel der Piraterie ward bereits in einem andern Zusammenhang geschildert. Die Panaceen des Prohibitivsystems, mit denen der römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme oder Brottheurung eintrat, die Verbote der Gold- oder Getreide- ausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht hesser. Die Communalverhältnisse waren fast überall auſser durch den allgemeinen Nothstand auch noch durch locale Wirren und Unterschleife der Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Be- drängnisse nicht etwa vorübergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und den Einzelnen mit stetigem unabwendbarem jährlich steigendem Drucke lasteten, muſste wohl der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo bis zum Euphrat sich ausbreiten. ‚Alle Gemeinden‘, heiſst es in einer schon 684 veröffentlichten Schrift, ‚sind zu Grunde gerichtet‘; eben dasselbe wird für Spanien und das narbonensische Gallien, also die verhältniſsmäſsig ökonomisch noch am leidlichsten ge- stellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar stan- den Städte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sclavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe und sogar der geduldige Asiate war, nach den Schilderungen römischer Staats- männer selbst, des Lebens überdrüssig geworden. Wen zu er- gründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann sowohl in dem frevelhaften Zufügen, wie in dem nicht minder frevelhaften Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Criminal- acten dieser Zeit zusammenlesen, was römische Groſse zu thun, was Griechen, Syrer und Phöniker zu leiden vermochten. Selbst

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/511>, abgerufen am 30.11.2024.