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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
orientalische Bevölkerung in derselben sich mischte, er trat ihr
nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, dass er bei seinen
hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloss in lateini-
scher und griechischer, sondern auch in andern Zungen, ver-
muthlich doch wohl in der phönikischen, hebräischen, syrischen
aufführen liess. -- Aber wenn Caesar den Grundcharakter der
Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewusstsein accep-
tirte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der da-
selbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen Zustände. Lei-
der waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die Scla-
verei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht ab-
stellen; es muss dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht
haben würde die hauptstädtische Sclavenbevölkerung wenigstens
zu vermindern, wie er dies auf einem andern Gebiete unter-
nahm. Ebenso wenig vermochte Caesar eine freie hauptstädti-
sche Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die unge-
heuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermassen ab
und eröffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehr-
lichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin die
Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluss
von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward
durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl be-
schränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopft,* doch
sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat
räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden mit
unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten,
andererseits die umfassende überseeische Colonisation; in den
wenigen Jahren seiner Regierung führte Caesar 80000 Colonisten
über das Meer, von denen ein sehr grosser Theil den unteren
Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein
wird, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene
waren. Es kann dies keine bloss vorübergehende Massregel ge-
wesen sein; Caesar, überzeugt wie jeder andere verständige Mann,
dass die einzige wahrhafte Hülfe gegen das Elend des Proletariats
in einem wohl regulirten Colonisirungssystem besteht, und durch
die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt dasselbe in

* Es ist nicht ohne Interesse, dass ein späterer, aber einsichtiger poli-
tischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius Namen an Caesar
gerichteten Briefe, diesem den Rath ertheilt die hauptstädtische Getreide-
vertheilung in die einzelnen Municipien zu verlegen. Diese Kritik hat ihren
guten Sinn; wie denn bei der grossartigen municipalen Waisenversorgung
unter Traian offenbar ähnliche Gedanken gewaltet haben.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
orientalische Bevölkerung in derselben sich mischte, er trat ihr
nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, daſs er bei seinen
hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloſs in lateini-
scher und griechischer, sondern auch in andern Zungen, ver-
muthlich doch wohl in der phönikischen, hebräischen, syrischen
aufführen lieſs. — Aber wenn Caesar den Grundcharakter der
Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewuſstsein accep-
tirte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der da-
selbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen Zustände. Lei-
der waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die Scla-
verei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht ab-
stellen; es muſs dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht
haben würde die hauptstädtische Sclavenbevölkerung wenigstens
zu vermindern, wie er dies auf einem andern Gebiete unter-
nahm. Ebenso wenig vermochte Caesar eine freie hauptstädti-
sche Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die unge-
heuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermaſsen ab
und eröffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehr-
lichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin die
Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluſs
von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward
durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl be-
schränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopft,* doch
sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat
räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden mit
unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten,
andererseits die umfassende überseeische Colonisation; in den
wenigen Jahren seiner Regierung führte Caesar 80000 Colonisten
über das Meer, von denen ein sehr groſser Theil den unteren
Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein
wird, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene
waren. Es kann dies keine bloſs vorübergehende Maſsregel ge-
wesen sein; Caesar, überzeugt wie jeder andere verständige Mann,
daſs die einzige wahrhafte Hülfe gegen das Elend des Proletariats
in einem wohl regulirten Colonisirungssystem besteht, und durch
die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt dasselbe in

* Es ist nicht ohne Interesse, daſs ein späterer, aber einsichtiger poli-
tischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius Namen an Caesar
gerichteten Briefe, diesem den Rath ertheilt die hauptstädtische Getreide-
vertheilung in die einzelnen Municipien zu verlegen. Diese Kritik hat ihren
guten Sinn; wie denn bei der groſsartigen municipalen Waisenversorgung
unter Traian offenbar ähnliche Gedanken gewaltet haben.
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[476/0486] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. orientalische Bevölkerung in derselben sich mischte, er trat ihr nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, daſs er bei seinen hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloſs in lateini- scher und griechischer, sondern auch in andern Zungen, ver- muthlich doch wohl in der phönikischen, hebräischen, syrischen aufführen lieſs. — Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewuſstsein accep- tirte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der da- selbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen Zustände. Lei- der waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die Scla- verei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht ab- stellen; es muſs dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht haben würde die hauptstädtische Sclavenbevölkerung wenigstens zu vermindern, wie er dies auf einem andern Gebiete unter- nahm. Ebenso wenig vermochte Caesar eine freie hauptstädti- sche Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die unge- heuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermaſsen ab und eröffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehr- lichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluſs von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl be- schränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopft, * doch sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten, andererseits die umfassende überseeische Colonisation; in den wenigen Jahren seiner Regierung führte Caesar 80000 Colonisten über das Meer, von denen ein sehr groſser Theil den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein wird, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Es kann dies keine bloſs vorübergehende Maſsregel ge- wesen sein; Caesar, überzeugt wie jeder andere verständige Mann, daſs die einzige wahrhafte Hülfe gegen das Elend des Proletariats in einem wohl regulirten Colonisirungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt dasselbe in * Es ist nicht ohne Interesse, daſs ein späterer, aber einsichtiger poli- tischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius Namen an Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rath ertheilt die hauptstädtische Getreide- vertheilung in die einzelnen Municipien zu verlegen. Diese Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der groſsartigen municipalen Waisenversorgung unter Traian offenbar ähnliche Gedanken gewaltet haben.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/486>, abgerufen am 23.05.2024.