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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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und übersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt wer-
den konnte. Die directen Abgaben aber wurden fortan durchgän-
gig entweder, wie die africanischen und sardinischen Korn- und
Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzufüh-
rende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefälle, in
feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbe-
träge den Steuerdistricten selbst übergeben. Die Kornvertheilun-
gen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herr-
schenden und, weil sie herrschte, von den Unterthanen zu spei-
senden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz
ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen wer-
den, dass diese Kornaustheilungen nebenher noch einem andern
Zwecke gedient hatten, indem sie allein eine Menge gänzlich un-
vermögender Bürger vor dem Verhungern schützten. In diesem
Sinne hielt Caesar sie fest. Hatte bisher jeder in Rom angesessene
römische Bürger wenigstens Anspruch gehabt auf unentgeltliches
Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt bis
auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller
wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000
herabgebracht. Diese Zahl wurde als Maximalzahl der Freikorn-
stellen ein für allemal fixirt und eine jährliche Revision der Liste
angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen
Plätze durch Nachwahl aus den bedürftigsten Bewerbern wieder
zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Ar-
menversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in
geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerther Satz zum erstenmal
in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe
ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidarität
der Interessen; im früheren Alterthum schützte der Staat die
Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er
war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der nothwendigen
Subsistenzmittel an den gänzlich hülflosen Mitbürger ihn vor
dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Es ist Cae-
sar, der zuerst, wenngleich natürlich nur noch in beschränkter
und mangelhafter Weise, den Staatsschutz hierauf erstreckt und
ein Institut, das für den Staat eine Last und eine Schmach war,
umgeschaffen hat in die erste jener heute so unzählbaren wie
segensreichen Anstalten, in denen das unendliche Erbarmen der
Menschen mit der Menschen unendlichem Elend ringt. -- Ausser
diesen mehr principiellen Reformen fand eine durchgängige Re-
vision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentli-
chen Einnahmen wurden überall regulirt und fixirt. Nicht weni-

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und übersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt wer-
den konnte. Die directen Abgaben aber wurden fortan durchgän-
gig entweder, wie die africanischen und sardinischen Korn- und
Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzufüh-
rende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefälle, in
feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbe-
träge den Steuerdistricten selbst übergeben. Die Kornvertheilun-
gen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herr-
schenden und, weil sie herrschte, von den Unterthanen zu spei-
senden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz
ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen wer-
den, daſs diese Kornaustheilungen nebenher noch einem andern
Zwecke gedient hatten, indem sie allein eine Menge gänzlich un-
vermögender Bürger vor dem Verhungern schützten. In diesem
Sinne hielt Caesar sie fest. Hatte bisher jeder in Rom angesessene
römische Bürger wenigstens Anspruch gehabt auf unentgeltliches
Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt bis
auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller
wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000
herabgebracht. Diese Zahl wurde als Maximalzahl der Freikorn-
stellen ein für allemal fixirt und eine jährliche Revision der Liste
angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen
Plätze durch Nachwahl aus den bedürftigsten Bewerbern wieder
zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Ar-
menversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in
geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerther Satz zum erstenmal
in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe
ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidarität
der Interessen; im früheren Alterthum schützte der Staat die
Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er
war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der nothwendigen
Subsistenzmittel an den gänzlich hülflosen Mitbürger ihn vor
dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Es ist Cae-
sar, der zuerst, wenngleich natürlich nur noch in beschränkter
und mangelhafter Weise, den Staatsschutz hierauf erstreckt und
ein Institut, das für den Staat eine Last und eine Schmach war,
umgeschaffen hat in die erste jener heute so unzählbaren wie
segensreichen Anstalten, in denen das unendliche Erbarmen der
Menschen mit der Menschen unendlichem Elend ringt. — Auſser
diesen mehr principiellen Reformen fand eine durchgängige Re-
vision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentli-
chen Einnahmen wurden überall regulirt und fixirt. Nicht weni-

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[469/0479] REPUBLIK UND MONARCHIE. und übersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt wer- den konnte. Die directen Abgaben aber wurden fortan durchgän- gig entweder, wie die africanischen und sardinischen Korn- und Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzufüh- rende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefälle, in feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbe- träge den Steuerdistricten selbst übergeben. Die Kornvertheilun- gen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herr- schenden und, weil sie herrschte, von den Unterthanen zu spei- senden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen wer- den, daſs diese Kornaustheilungen nebenher noch einem andern Zwecke gedient hatten, indem sie allein eine Menge gänzlich un- vermögender Bürger vor dem Verhungern schützten. In diesem Sinne hielt Caesar sie fest. Hatte bisher jeder in Rom angesessene römische Bürger wenigstens Anspruch gehabt auf unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000 herabgebracht. Diese Zahl wurde als Maximalzahl der Freikorn- stellen ein für allemal fixirt und eine jährliche Revision der Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plätze durch Nachwahl aus den bedürftigsten Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Ar- menversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerther Satz zum erstenmal in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidarität der Interessen; im früheren Alterthum schützte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der nothwendigen Subsistenzmittel an den gänzlich hülflosen Mitbürger ihn vor dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Es ist Cae- sar, der zuerst, wenngleich natürlich nur noch in beschränkter und mangelhafter Weise, den Staatsschutz hierauf erstreckt und ein Institut, das für den Staat eine Last und eine Schmach war, umgeschaffen hat in die erste jener heute so unzählbaren wie segensreichen Anstalten, in denen das unendliche Erbarmen der Menschen mit der Menschen unendlichem Elend ringt. — Auſser diesen mehr principiellen Reformen fand eine durchgängige Re- vision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentli- chen Einnahmen wurden überall regulirt und fixirt. Nicht weni-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/479>, abgerufen am 18.05.2024.