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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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hobenen dreissig Jahre und länger bei den Adlern festgehalten.
Die römische Bürgerreiterei vegetirte nur noch als eine Art be-
rittener Nobelgarde, deren salbenduftende Cavaliere und ausge-
suchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine
Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfussvolk war eine aus den
niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung durch Werberlist
oder Werbergewalt zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Un-
terthanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen aus-
schliesslich und fingen an auch im Fussvolk immer stärker mit ver-
wendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf
denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Ab-
theilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen
Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wur-
den jetzt nicht bloss regelmässig nach Gunst vergeben, sondern
sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung
des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirthschaft der Re-
gierung und der Feilheit und Betrügerei der grossen Majorität der
Beamten höchst mangelhaft und unregelmässig. -- Die nothwen-
dige Folge hiervon war, dass im gewöhnlichen Laufe der Dinge
die römischen Armeen die Provinzialen ausraubten, gegen die Of-
fiziere meuterten, und vor dem Feinde davon liefen; es kam vor,
dass beträchtliche Heere, wie das makedonische des Piso im J. 697
(S. 275), ohne eigentliche Niederlage bloss durch diese Miss-
wirtschaft vollständig ruinirt wurden. Fähige Führer dagegen,
wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhan-
denen Material tüchtige und schlagfertige, zum Theil musterhafte
Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr ihrem Heer-
führer an als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere
Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern
antipathisch geblieben und nie völlig nationalisirt worden war,
bedarf kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen
Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruinirt worden,
was überhaupt ruinirt werden konnte. -- Caesar ging im Allge-
meinen von der Ansicht aus, dass das römische Heerwesen einer
radicalen Reform entweder nicht bedürfe oder auch nicht fähig
sei und dass es genüge die unter der bisherigen schlaffen und un-
fähigen Oberleitung gelockerten Zügel wieder straffer und fester
anzuziehen. Die Elemente der Armee acceptirte er, eben wie Han-
nibal sie acceptirt hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeord-
nung, dass, um vor dem dreissigsten Jahre ein Gemeindeamt be-
kleiden oder im Gemeinderath zu sitzen, ein dreijähriger Dienst
zu Pferde -- das heisst als Offizier -- oder ein sechsjähriger zu

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
hobenen dreiſsig Jahre und länger bei den Adlern festgehalten.
Die römische Bürgerreiterei vegetirte nur noch als eine Art be-
rittener Nobelgarde, deren salbenduftende Cavaliere und ausge-
suchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine
Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfuſsvolk war eine aus den
niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung durch Werberlist
oder Werbergewalt zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Un-
terthanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen aus-
schlieſslich und fingen an auch im Fuſsvolk immer stärker mit ver-
wendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf
denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Ab-
theilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen
Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wur-
den jetzt nicht bloſs regelmäſsig nach Gunst vergeben, sondern
sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung
des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirthschaft der Re-
gierung und der Feilheit und Betrügerei der groſsen Majorität der
Beamten höchst mangelhaft und unregelmäſsig. — Die nothwen-
dige Folge hiervon war, daſs im gewöhnlichen Laufe der Dinge
die römischen Armeen die Provinzialen ausraubten, gegen die Of-
fiziere meuterten, und vor dem Feinde davon liefen; es kam vor,
daſs beträchtliche Heere, wie das makedonische des Piso im J. 697
(S. 275), ohne eigentliche Niederlage bloſs durch diese Miſs-
wirtschaft vollständig ruinirt wurden. Fähige Führer dagegen,
wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhan-
denen Material tüchtige und schlagfertige, zum Theil musterhafte
Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr ihrem Heer-
führer an als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere
Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern
antipathisch geblieben und nie völlig nationalisirt worden war,
bedarf kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen
Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruinirt worden,
was überhaupt ruinirt werden konnte. — Caesar ging im Allge-
meinen von der Ansicht aus, daſs das römische Heerwesen einer
radicalen Reform entweder nicht bedürfe oder auch nicht fähig
sei und daſs es genüge die unter der bisherigen schlaffen und un-
fähigen Oberleitung gelockerten Zügel wieder straffer und fester
anzuziehen. Die Elemente der Armee acceptirte er, eben wie Han-
nibal sie acceptirt hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeord-
nung, daſs, um vor dem dreiſsigsten Jahre ein Gemeindeamt be-
kleiden oder im Gemeinderath zu sitzen, ein dreijähriger Dienst
zu Pferde — das heiſst als Offizier — oder ein sechsjähriger zu

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[462/0472] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. hobenen dreiſsig Jahre und länger bei den Adlern festgehalten. Die römische Bürgerreiterei vegetirte nur noch als eine Art be- rittener Nobelgarde, deren salbenduftende Cavaliere und ausge- suchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfuſsvolk war eine aus den niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung durch Werberlist oder Werbergewalt zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Un- terthanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen aus- schlieſslich und fingen an auch im Fuſsvolk immer stärker mit ver- wendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Ab- theilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wur- den jetzt nicht bloſs regelmäſsig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirthschaft der Re- gierung und der Feilheit und Betrügerei der groſsen Majorität der Beamten höchst mangelhaft und unregelmäſsig. — Die nothwen- dige Folge hiervon war, daſs im gewöhnlichen Laufe der Dinge die römischen Armeen die Provinzialen ausraubten, gegen die Of- fiziere meuterten, und vor dem Feinde davon liefen; es kam vor, daſs beträchtliche Heere, wie das makedonische des Piso im J. 697 (S. 275), ohne eigentliche Niederlage bloſs durch diese Miſs- wirtschaft vollständig ruinirt wurden. Fähige Führer dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhan- denen Material tüchtige und schlagfertige, zum Theil musterhafte Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr ihrem Heer- führer an als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern antipathisch geblieben und nie völlig nationalisirt worden war, bedarf kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruinirt worden, was überhaupt ruinirt werden konnte. — Caesar ging im Allge- meinen von der Ansicht aus, daſs das römische Heerwesen einer radicalen Reform entweder nicht bedürfe oder auch nicht fähig sei und daſs es genüge die unter der bisherigen schlaffen und un- fähigen Oberleitung gelockerten Zügel wieder straffer und fester anzuziehen. Die Elemente der Armee acceptirte er, eben wie Han- nibal sie acceptirt hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeord- nung, daſs, um vor dem dreiſsigsten Jahre ein Gemeindeamt be- kleiden oder im Gemeinderath zu sitzen, ein dreijähriger Dienst zu Pferde — das heiſst als Offizier — oder ein sechsjähriger zu

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/472>, abgerufen am 23.05.2024.