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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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REBUBLIK UND MONARCHIE.

Die Reorganisation des Militärwesens musste ausgehen von
der Wiederherstellung der tiefgesunkenen militärischen Disciplin.
Im Allgemeinen finden wir das römische Heerwesen dieser Zeit in
derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die
regierenden Klassen senden nur noch die Offiziere, die Unter-
thanenschaft, Plebejer und Provinzialen bilden das Heer. Der
Feldherr ist von der Centralregierung finanziell und militärisch
fast unabhängig und im Glück wie im Unglück wesentlich auf
sich selbst und auf die Hülfsquellen seines Sprengels angewiesen.
Bürger- und sogar Nationalsinn sind aus dem Heere verschwun-
den und als innerliches Band einzig der Corpsgeist übrig geblie-
ben. Die Armee hat aufgehört ein Werkzeug des Gemeinwesens
zu sein; politisch hat sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber
vermag sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militärisch
sinkt sie unter den gewöhnlichen elenden Führern zu einer auf-
gelösten unbrauchbaren Rotte herab, entwickelt aber auch unter
dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreich-
baren militärischen Vollkommenheit. Der Offizierstand vor al-
lem war im tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren
und Ritter entwöhnten immer mehr sich der Waffen. Wenn
man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so
war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte,
einer Kriegstribunenstelle sicher und schon mussten manche
dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden;
wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte
wenigstens in Sicilien oder einer andern Provinz, wo man sicher
war nicht vor den Feind zu kommen, sein Dienstjahr abzuthun.
Offiziere von gewöhnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden
wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius
seine Zeitgenossen eine in jeder Hinsicht sie compromittirende
militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreissen wie zur Meu-
terei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der sträflichen
Nachsicht der Commandirenden waren Anträge auf Cassation
vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das
von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie
in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen
sollte, geflucht und geweint, und an Testamenten und sogar an
Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von
den besseren Ständen keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich
bestand die allgemeine Wehrpflicht noch; allein die Aushebung
erfolgte in der regellosesten und unbilligsten Weise; zahlreiche
Pflichtige wurden ganz übergangen, dagegen die einmal Ausge-

REBUBLIK UND MONARCHIE.

Die Reorganisation des Militärwesens muſste ausgehen von
der Wiederherstellung der tiefgesunkenen militärischen Disciplin.
Im Allgemeinen finden wir das römische Heerwesen dieser Zeit in
derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die
regierenden Klassen senden nur noch die Offiziere, die Unter-
thanenschaft, Plebejer und Provinzialen bilden das Heer. Der
Feldherr ist von der Centralregierung finanziell und militärisch
fast unabhängig und im Glück wie im Unglück wesentlich auf
sich selbst und auf die Hülfsquellen seines Sprengels angewiesen.
Bürger- und sogar Nationalsinn sind aus dem Heere verschwun-
den und als innerliches Band einzig der Corpsgeist übrig geblie-
ben. Die Armee hat aufgehört ein Werkzeug des Gemeinwesens
zu sein; politisch hat sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber
vermag sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militärisch
sinkt sie unter den gewöhnlichen elenden Führern zu einer auf-
gelösten unbrauchbaren Rotte herab, entwickelt aber auch unter
dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreich-
baren militärischen Vollkommenheit. Der Offizierstand vor al-
lem war im tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren
und Ritter entwöhnten immer mehr sich der Waffen. Wenn
man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so
war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte,
einer Kriegstribunenstelle sicher und schon muſsten manche
dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden;
wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte
wenigstens in Sicilien oder einer andern Provinz, wo man sicher
war nicht vor den Feind zu kommen, sein Dienstjahr abzuthun.
Offiziere von gewöhnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden
wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius
seine Zeitgenossen eine in jeder Hinsicht sie compromittirende
militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreiſsen wie zur Meu-
terei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der sträflichen
Nachsicht der Commandirenden waren Anträge auf Cassation
vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das
von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie
in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen
sollte, geflucht und geweint, und an Testamenten und sogar an
Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von
den besseren Ständen keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich
bestand die allgemeine Wehrpflicht noch; allein die Aushebung
erfolgte in der regellosesten und unbilligsten Weise; zahlreiche
Pflichtige wurden ganz übergangen, dagegen die einmal Ausge-

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[461/0471] REBUBLIK UND MONARCHIE. Die Reorganisation des Militärwesens muſste ausgehen von der Wiederherstellung der tiefgesunkenen militärischen Disciplin. Im Allgemeinen finden wir das römische Heerwesen dieser Zeit in derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen senden nur noch die Offiziere, die Unter- thanenschaft, Plebejer und Provinzialen bilden das Heer. Der Feldherr ist von der Centralregierung finanziell und militärisch fast unabhängig und im Glück wie im Unglück wesentlich auf sich selbst und auf die Hülfsquellen seines Sprengels angewiesen. Bürger- und sogar Nationalsinn sind aus dem Heere verschwun- den und als innerliches Band einzig der Corpsgeist übrig geblie- ben. Die Armee hat aufgehört ein Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hat sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber vermag sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militärisch sinkt sie unter den gewöhnlichen elenden Führern zu einer auf- gelösten unbrauchbaren Rotte herab, entwickelt aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreich- baren militärischen Vollkommenheit. Der Offizierstand vor al- lem war im tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren und Ritter entwöhnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon muſsten manche dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden; wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens in Sicilien oder einer andern Provinz, wo man sicher war nicht vor den Feind zu kommen, sein Dienstjahr abzuthun. Offiziere von gewöhnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius seine Zeitgenossen eine in jeder Hinsicht sie compromittirende militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreiſsen wie zur Meu- terei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der sträflichen Nachsicht der Commandirenden waren Anträge auf Cassation vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint, und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von den besseren Ständen keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch; allein die Aushebung erfolgte in der regellosesten und unbilligsten Weise; zahlreiche Pflichtige wurden ganz übergangen, dagegen die einmal Ausge-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/471>, abgerufen am 18.05.2024.