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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach
der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz
von 1000 Talenten (1700000 Thlr.) weggeführt worden sein.
Apollon, heisst es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist
durch die Piraten so arm geworden, dass er, wenn die Schwalbe
bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein
Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über
vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte
Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus
nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wan-
derte die gesammte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten
fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war
man vor denselben sicher; es kam vor, dass sie ein bis zwei
Tagemärsche von der Küste gelegene Ortschaften überfielen. Die
entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im grie-
chischen Osten erliegen, stammt grossentheils aus diesen ver-
hängnissvollen Zeiten. Das Corsarenwesen hatte seinen Charakter
gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne,
die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Pe-
loponnes -- in der Flibustiersprache dem ,goldenen Meer' --
von dem grossen Zug des italisch-orientalischen Sclaven- und
Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete
Sclavenfänger, die ,Krieg, Handel und Piraterie' ebenmässig neben
einander betrieben; es war ein Corsarenstaat mit einem eigen-
thümlichen Gemeingeist, mit einer festen sehr respectablen Or-
ganisation, mit einer eigenen Heimath und den Anfängen einer
Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen
Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der That fan-
den auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller
Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kre-
tischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften
Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus
Fimbrias und Sertorius Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute
aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Par-
teien, alles was elend und verwegen war -- und wo war nicht
Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zu-
sammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener
Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und des
Verbrechens an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb des-
sen das Verbrechen wie so oft vor sich selbst sich rettete in den
hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feig-
heit und Unbotmässigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ord-

DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach
der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz
von 1000 Talenten (1700000 Thlr.) weggeführt worden sein.
Apollon, heiſst es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist
durch die Piraten so arm geworden, daſs er, wenn die Schwalbe
bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein
Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über
vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte
Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus
nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wan-
derte die gesammte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten
fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war
man vor denselben sicher; es kam vor, daſs sie ein bis zwei
Tagemärsche von der Küste gelegene Ortschaften überfielen. Die
entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im grie-
chischen Osten erliegen, stammt groſsentheils aus diesen ver-
hängniſsvollen Zeiten. Das Corsarenwesen hatte seinen Charakter
gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne,
die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Pe-
loponnes — in der Flibustiersprache dem ‚goldenen Meer‘ —
von dem groſsen Zug des italisch-orientalischen Sclaven- und
Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete
Sclavenfänger, die ‚Krieg, Handel und Piraterie‘ ebenmäſsig neben
einander betrieben; es war ein Corsarenstaat mit einem eigen-
thümlichen Gemeingeist, mit einer festen sehr respectablen Or-
ganisation, mit einer eigenen Heimath und den Anfängen einer
Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen
Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der That fan-
den auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller
Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kre-
tischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften
Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus
Fimbrias und Sertorius Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute
aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Par-
teien, alles was elend und verwegen war — und wo war nicht
Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zu-
sammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener
Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und des
Verbrechens an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb des-
sen das Verbrechen wie so oft vor sich selbst sich rettete in den
hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feig-
heit und Unbotmäſsigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ord-

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[37/0047] DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1700000 Thlr.) weggeführt worden sein. Apollon, heiſst es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, daſs er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wan- derte die gesammte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, daſs sie ein bis zwei Tagemärsche von der Küste gelegene Ortschaften überfielen. Die entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im grie- chischen Osten erliegen, stammt groſsentheils aus diesen ver- hängniſsvollen Zeiten. Das Corsarenwesen hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne, die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Pe- loponnes — in der Flibustiersprache dem ‚goldenen Meer‘ — von dem groſsen Zug des italisch-orientalischen Sclaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete Sclavenfänger, die ‚Krieg, Handel und Piraterie‘ ebenmäſsig neben einander betrieben; es war ein Corsarenstaat mit einem eigen- thümlichen Gemeingeist, mit einer festen sehr respectablen Or- ganisation, mit einer eigenen Heimath und den Anfängen einer Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der That fan- den auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kre- tischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Par- teien, alles was elend und verwegen war — und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zu- sammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und des Verbrechens an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb des- sen das Verbrechen wie so oft vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feig- heit und Unbotmäſsigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ord-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/47>, abgerufen am 22.11.2024.