Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

PHARSALOS.
die Aufnahme -- so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens,
Phoenikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und
überhaupt der ganze Osten. Ja König Pharnakes vom Bosporus
trieb den Diensteifer so weit, dass er auf die Nachricht von
der pharsalischen Schlacht nicht bloss die manches Jahr zuvor
von Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete
der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst
das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich
Kleinarmenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen
von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Me-
gara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen
liess, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einzie-
hung seines Reiches schon längst, und nach dem Siege über Cu-
rio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich,
wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren musste.
Ebenso wie die Clientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsa-
los unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei,
alle die mit halbem Herzen mitgemacht hatten, oder gar, wie
Marcus Cicero und seines Gleichen, nur um die Aristokratie
herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei
um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen,
den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern
bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlage-
nen Parteien transigirte nicht. Mit der Aristokratie war es vor-
bei; aber doch konnten die Aristokraten sich nimmermehr zur
Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der
Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur
Lüge, die einst segenshafte Staatsordnung zum Fluche werden;
aber selbst das vergangene Evangelium noch findet seine Beken-
ner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie
der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich sel-
ber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche
der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine
letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein jüngeres Geschlecht,
von jenen umgehenden Gespenstern befreit, über die verjüngte
Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Ent-
artung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war,
es war einst ein grossartiges politisches System gewesen; das
heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt
worden war, wie auch getrübt und verdumpft, glühte doch fort
in dem römischen Adel, so lange es einen solchen gab, und
machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des

PHARSALOS.
die Aufnahme — so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens,
Phoenikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und
überhaupt der ganze Osten. Ja König Pharnakes vom Bosporus
trieb den Diensteifer so weit, daſs er auf die Nachricht von
der pharsalischen Schlacht nicht bloſs die manches Jahr zuvor
von Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete
der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst
das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich
Kleinarmenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen
von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Me-
gara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen
lieſs, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einzie-
hung seines Reiches schon längst, und nach dem Siege über Cu-
rio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich,
wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren muſste.
Ebenso wie die Clientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsa-
los unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei,
alle die mit halbem Herzen mitgemacht hatten, oder gar, wie
Marcus Cicero und seines Gleichen, nur um die Aristokratie
herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei
um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen,
den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern
bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlage-
nen Parteien transigirte nicht. Mit der Aristokratie war es vor-
bei; aber doch konnten die Aristokraten sich nimmermehr zur
Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der
Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur
Lüge, die einst segenshafte Staatsordnung zum Fluche werden;
aber selbst das vergangene Evangelium noch findet seine Beken-
ner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie
der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich sel-
ber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche
der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine
letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein jüngeres Geschlecht,
von jenen umgehenden Gespenstern befreit, über die verjüngte
Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Ent-
artung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war,
es war einst ein groſsartiges politisches System gewesen; das
heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt
worden war, wie auch getrübt und verdumpft, glühte doch fort
in dem römischen Adel, so lange es einen solchen gab, und
machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="397"/><fw place="top" type="header">PHARSALOS.</fw><lb/>
die Aufnahme &#x2014; so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens,<lb/>
Phoenikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und<lb/>
überhaupt der ganze Osten. Ja König Pharnakes vom Bosporus<lb/>
trieb den Diensteifer so weit, da&#x017F;s er auf die Nachricht von<lb/>
der pharsalischen Schlacht nicht blo&#x017F;s die manches Jahr zuvor<lb/>
von Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete<lb/>
der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst<lb/>
das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich<lb/>
Kleinarmenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen<lb/>
von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Me-<lb/>
gara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen<lb/>
lie&#x017F;s, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einzie-<lb/>
hung seines Reiches schon längst, und nach dem Siege über Cu-<lb/>
rio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich,<lb/>
wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren mu&#x017F;ste.<lb/>
Ebenso wie die Clientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsa-<lb/>
los unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei,<lb/>
alle die mit halbem Herzen mitgemacht hatten, oder gar, wie<lb/>
Marcus Cicero und seines Gleichen, nur um die Aristokratie<lb/>
herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei<lb/>
um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen,<lb/>
den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern<lb/>
bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlage-<lb/>
nen Parteien transigirte nicht. Mit der Aristokratie war es vor-<lb/>
bei; aber doch konnten die Aristokraten sich nimmermehr zur<lb/>
Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der<lb/>
Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur<lb/>
Lüge, die einst segenshafte Staatsordnung zum Fluche werden;<lb/>
aber selbst das vergangene Evangelium noch findet seine Beken-<lb/>
ner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie<lb/>
der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich sel-<lb/>
ber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche<lb/>
der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine<lb/>
letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein jüngeres Geschlecht,<lb/>
von jenen umgehenden Gespenstern befreit, über die verjüngte<lb/>
Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Ent-<lb/>
artung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war,<lb/>
es war einst ein gro&#x017F;sartiges politisches System gewesen; das<lb/>
heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt<lb/>
worden war, wie auch getrübt und verdumpft, glühte doch fort<lb/>
in dem römischen Adel, so lange es einen solchen gab, und<lb/>
machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0407] PHARSALOS. die Aufnahme — so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens, Phoenikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und überhaupt der ganze Osten. Ja König Pharnakes vom Bosporus trieb den Diensteifer so weit, daſs er auf die Nachricht von der pharsalischen Schlacht nicht bloſs die manches Jahr zuvor von Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich Kleinarmenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Me- gara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen lieſs, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einzie- hung seines Reiches schon längst, und nach dem Siege über Cu- rio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich, wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren muſste. Ebenso wie die Clientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsa- los unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei, alle die mit halbem Herzen mitgemacht hatten, oder gar, wie Marcus Cicero und seines Gleichen, nur um die Aristokratie herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen, den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlage- nen Parteien transigirte nicht. Mit der Aristokratie war es vor- bei; aber doch konnten die Aristokraten sich nimmermehr zur Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur Lüge, die einst segenshafte Staatsordnung zum Fluche werden; aber selbst das vergangene Evangelium noch findet seine Beken- ner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich sel- ber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein jüngeres Geschlecht, von jenen umgehenden Gespenstern befreit, über die verjüngte Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Ent- artung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war, es war einst ein groſsartiges politisches System gewesen; das heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt worden war, wie auch getrübt und verdumpft, glühte doch fort in dem römischen Adel, so lange es einen solchen gab, und machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/407
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/407>, abgerufen am 15.05.2024.