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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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ILERDA.
jungen Mann das wichtigste selbstständige Commando anvertraut;
es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen
Jüngling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf
die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil
er Offizier war, sondern es gab seine politische Thätigkeit ihm
das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die
der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief em-
pfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung ruhte auf dem
raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war
Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmuthige Offenherzigkeit
und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von
ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Muth ihn zu Unvorsichtigkeiten
hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich
verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente
gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars
Geschichte nicht. Man darf es beklagen, dass es dieser über-
sprudelnden Natur nicht vergönnt war auszuschäumen und sich
aufzubewahren für die folgende an Talenten so bettelarme, dem
schrecklichen Regiment der Mittelmässigkeiten so rasch verfal-
lene Generation.

Von Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite grosse
Armee, die Hauptflotte, ungeheure militärische und noch ausge-
dehntere finanzielle Hülfsmittel der Gegner Caesars sich befanden,
ward in diesen allentscheidenden Kampf im Westen so gut wie gar
nicht eingegriffen. Vergeblich fragt man nach zureichenden Grün-
den für diese verhängnissvolle Unthätigkeit; nicht einmal das lässt
sich bestimmen, welche Rolle den Heerkörpern im Westen nach
dem Verlust Italiens in Pompeius Kriegsplan zugedacht war. Dass
er die Absicht gehabt seinem in Spanien fechtenden Heer über
Africa und Mauretanien zu Hülfe zu kommen, war nichts als ein
im Lager von Ilerda umlaufendes abenteuerliches und ohne Zwei-
fel durchaus grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es,
dass er bei seinem früheren Plan, Caesar im dies- und jenseitigen
Gallien von zwei Seiten her anzugreifen (S. 352), selbst noch
nach dem Verlust von Italien beharrte und einen combinirten An-
griff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte, so
dass die Armeen nach Umständen entweder an der Rhone oder
am Po zusammengetroffen wären. Vermuthlich sollte die spani-
sche so lange an den Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in
der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfähig
war; worauf dann beide zugleich gegen Gallien aufgebrochen sein
und die Flotte vermuthlich gleichzeitig versucht haben würde

ILERDA.
jungen Mann das wichtigste selbstständige Commando anvertraut;
es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen
Jüngling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf
die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil
er Offizier war, sondern es gab seine politische Thätigkeit ihm
das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die
der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief em-
pfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung ruhte auf dem
raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war
Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmuthige Offenherzigkeit
und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von
ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Muth ihn zu Unvorsichtigkeiten
hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich
verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente
gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars
Geschichte nicht. Man darf es beklagen, daſs es dieser über-
sprudelnden Natur nicht vergönnt war auszuschäumen und sich
aufzubewahren für die folgende an Talenten so bettelarme, dem
schrecklichen Regiment der Mittelmäſsigkeiten so rasch verfal-
lene Generation.

Von Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite groſse
Armee, die Hauptflotte, ungeheure militärische und noch ausge-
dehntere finanzielle Hülfsmittel der Gegner Caesars sich befanden,
ward in diesen allentscheidenden Kampf im Westen so gut wie gar
nicht eingegriffen. Vergeblich fragt man nach zureichenden Grün-
den für diese verhängniſsvolle Unthätigkeit; nicht einmal das läſst
sich bestimmen, welche Rolle den Heerkörpern im Westen nach
dem Verlust Italiens in Pompeius Kriegsplan zugedacht war. Daſs
er die Absicht gehabt seinem in Spanien fechtenden Heer über
Africa und Mauretanien zu Hülfe zu kommen, war nichts als ein
im Lager von Ilerda umlaufendes abenteuerliches und ohne Zwei-
fel durchaus grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es,
daſs er bei seinem früheren Plan, Caesar im dies- und jenseitigen
Gallien von zwei Seiten her anzugreifen (S. 352), selbst noch
nach dem Verlust von Italien beharrte und einen combinirten An-
griff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte, so
daſs die Armeen nach Umständen entweder an der Rhone oder
am Po zusammengetroffen wären. Vermuthlich sollte die spani-
sche so lange an den Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in
der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfähig
war; worauf dann beide zugleich gegen Gallien aufgebrochen sein
und die Flotte vermuthlich gleichzeitig versucht haben würde

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[373/0383] ILERDA. jungen Mann das wichtigste selbstständige Commando anvertraut; es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen Jüngling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil er Offizier war, sondern es gab seine politische Thätigkeit ihm das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief em- pfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung ruhte auf dem raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmuthige Offenherzigkeit und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Muth ihn zu Unvorsichtigkeiten hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars Geschichte nicht. Man darf es beklagen, daſs es dieser über- sprudelnden Natur nicht vergönnt war auszuschäumen und sich aufzubewahren für die folgende an Talenten so bettelarme, dem schrecklichen Regiment der Mittelmäſsigkeiten so rasch verfal- lene Generation. Von Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite groſse Armee, die Hauptflotte, ungeheure militärische und noch ausge- dehntere finanzielle Hülfsmittel der Gegner Caesars sich befanden, ward in diesen allentscheidenden Kampf im Westen so gut wie gar nicht eingegriffen. Vergeblich fragt man nach zureichenden Grün- den für diese verhängniſsvolle Unthätigkeit; nicht einmal das läſst sich bestimmen, welche Rolle den Heerkörpern im Westen nach dem Verlust Italiens in Pompeius Kriegsplan zugedacht war. Daſs er die Absicht gehabt seinem in Spanien fechtenden Heer über Africa und Mauretanien zu Hülfe zu kommen, war nichts als ein im Lager von Ilerda umlaufendes abenteuerliches und ohne Zwei- fel durchaus grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es, daſs er bei seinem früheren Plan, Caesar im dies- und jenseitigen Gallien von zwei Seiten her anzugreifen (S. 352), selbst noch nach dem Verlust von Italien beharrte und einen combinirten An- griff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte, so daſs die Armeen nach Umständen entweder an der Rhone oder am Po zusammengetroffen wären. Vermuthlich sollte die spani- sche so lange an den Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfähig war; worauf dann beide zugleich gegen Gallien aufgebrochen sein und die Flotte vermuthlich gleichzeitig versucht haben würde

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/383>, abgerufen am 16.05.2024.