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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
wegsame und von feindlichen Schaaren erfüllte Landschaften zu
folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr auch die In-
fanterie in den Fluss zu führen und ohne Unfall ward er durch-
schritten. Es war die höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene,
welche die Stadt Ilerda von den Ebro einfassenden Gebirgen
trennt, einmal durchschritten und das Heer in die Berge einge-
treten war, so war es nicht mehr möglich demselben den Rück-
zug an den Ebro zu verwehren; und schon hatten die Pompeianer
trotz der beständigen den Marsch ungemein verzögernden An-
griffe der feindlichen Reiterei bis auf eine Meile sich den Bergen
genähert. Allein, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäg-
lich erschöpft, gaben sie ihren ursprünglichen Plan, die Ebene
noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, auf und schlugen
ein Lager; so holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am
Abend ihnen gegenüber. Die Pompeianer beabsichtigten in der
Nacht weiter zu marschiren, allein es unterblieb aus Furcht vor den
Folgen nächtlicher Angriffe der Reiterei; und auch am folgenden
Tage standen beide Heere unbeweglich sich gegenüber, nur be-
schäftigt die Gegend zu recognosciren. Am frühen Morgen des
dritten brach Caesar auf, um durch die pfadlosen Berge zur Seite
der Strasse sich einen Weg zu bahnen und also den Weg zum
Ebro dem Feinde zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Mar-
sches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden
schien, ward von den pompeianischen Offizieren nicht sogleich
erkannt. Als sie ihn fassten, opferten sie Lager und Gepäck und
rückten im Gewaltmarsch auf der Hauptstrasse vor, um die Höhen
zu gewinnen. Indess es war bereits zu spät: schon hielten auf
der Hauptstrasse selbst die geschlossenen Massen der Feinde. Ein
verzweifelter Versuch der Pompeianer über die Bergsteile einen
neuen Weg zum Ebro ausfindig zu machen ward von der römi-
schen Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitani-
schen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Wäre es zwischen
der pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Rücken,
das Fussvolk von vorne sich gegenüber hatte und gänzlich de-
moralisirt war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekom-
men, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft und die Gelegen-
heit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte
keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die unge-
duldige Kampflust seiner siegesgewissen Soldaten. Die pompe-
ianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar ver-
mied es durch nutzloses Blutvergiessen sein Heer zu schwächen
und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
wegsame und von feindlichen Schaaren erfüllte Landschaften zu
folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr auch die In-
fanterie in den Fluſs zu führen und ohne Unfall ward er durch-
schritten. Es war die höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene,
welche die Stadt Ilerda von den Ebro einfassenden Gebirgen
trennt, einmal durchschritten und das Heer in die Berge einge-
treten war, so war es nicht mehr möglich demselben den Rück-
zug an den Ebro zu verwehren; und schon hatten die Pompeianer
trotz der beständigen den Marsch ungemein verzögernden An-
griffe der feindlichen Reiterei bis auf eine Meile sich den Bergen
genähert. Allein, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäg-
lich erschöpft, gaben sie ihren ursprünglichen Plan, die Ebene
noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, auf und schlugen
ein Lager; so holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am
Abend ihnen gegenüber. Die Pompeianer beabsichtigten in der
Nacht weiter zu marschiren, allein es unterblieb aus Furcht vor den
Folgen nächtlicher Angriffe der Reiterei; und auch am folgenden
Tage standen beide Heere unbeweglich sich gegenüber, nur be-
schäftigt die Gegend zu recognosciren. Am frühen Morgen des
dritten brach Caesar auf, um durch die pfadlosen Berge zur Seite
der Straſse sich einen Weg zu bahnen und also den Weg zum
Ebro dem Feinde zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Mar-
sches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden
schien, ward von den pompeianischen Offizieren nicht sogleich
erkannt. Als sie ihn faſsten, opferten sie Lager und Gepäck und
rückten im Gewaltmarsch auf der Hauptstraſse vor, um die Höhen
zu gewinnen. Indeſs es war bereits zu spät: schon hielten auf
der Hauptstraſse selbst die geschlossenen Massen der Feinde. Ein
verzweifelter Versuch der Pompeianer über die Bergsteile einen
neuen Weg zum Ebro ausfindig zu machen ward von der römi-
schen Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitani-
schen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Wäre es zwischen
der pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Rücken,
das Fuſsvolk von vorne sich gegenüber hatte und gänzlich de-
moralisirt war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekom-
men, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft und die Gelegen-
heit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte
keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die unge-
duldige Kampflust seiner siegesgewissen Soldaten. Die pompe-
ianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar ver-
mied es durch nutzloses Blutvergieſsen sein Heer zu schwächen
und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage

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[366/0376] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. wegsame und von feindlichen Schaaren erfüllte Landschaften zu folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr auch die In- fanterie in den Fluſs zu führen und ohne Unfall ward er durch- schritten. Es war die höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene, welche die Stadt Ilerda von den Ebro einfassenden Gebirgen trennt, einmal durchschritten und das Heer in die Berge einge- treten war, so war es nicht mehr möglich demselben den Rück- zug an den Ebro zu verwehren; und schon hatten die Pompeianer trotz der beständigen den Marsch ungemein verzögernden An- griffe der feindlichen Reiterei bis auf eine Meile sich den Bergen genähert. Allein, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäg- lich erschöpft, gaben sie ihren ursprünglichen Plan, die Ebene noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, auf und schlugen ein Lager; so holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am Abend ihnen gegenüber. Die Pompeianer beabsichtigten in der Nacht weiter zu marschiren, allein es unterblieb aus Furcht vor den Folgen nächtlicher Angriffe der Reiterei; und auch am folgenden Tage standen beide Heere unbeweglich sich gegenüber, nur be- schäftigt die Gegend zu recognosciren. Am frühen Morgen des dritten brach Caesar auf, um durch die pfadlosen Berge zur Seite der Straſse sich einen Weg zu bahnen und also den Weg zum Ebro dem Feinde zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Mar- sches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden schien, ward von den pompeianischen Offizieren nicht sogleich erkannt. Als sie ihn faſsten, opferten sie Lager und Gepäck und rückten im Gewaltmarsch auf der Hauptstraſse vor, um die Höhen zu gewinnen. Indeſs es war bereits zu spät: schon hielten auf der Hauptstraſse selbst die geschlossenen Massen der Feinde. Ein verzweifelter Versuch der Pompeianer über die Bergsteile einen neuen Weg zum Ebro ausfindig zu machen ward von der römi- schen Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitani- schen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Wäre es zwischen der pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Rücken, das Fuſsvolk von vorne sich gegenüber hatte und gänzlich de- moralisirt war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekom- men, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft und die Gelegen- heit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die unge- duldige Kampflust seiner siegesgewissen Soldaten. Die pompe- ianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar ver- mied es durch nutzloses Blutvergieſsen sein Heer zu schwächen und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/376>, abgerufen am 18.12.2024.