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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
ven bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange
bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars
in Italien einrücken konnte, musste hier ein weit überlegenes Heer
bereit stehen sie zu empfangen. Es schien eine Thorheit mit
einem Haufen von der Stärke des catilinarischen und augenblick-
lich ohne wirksame Reserve gegen eine überlegene und stündlich
anwachsende Armee unter einem fähigen Feldherrn angreifend
vorzugehen; allein es war eine Thorheit im Geiste Hannibals.
Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich hinauszog
und Pompeius gestattet ward mit seinen spanischen Truppen im
transalpinischen, mit seinen italischen im cisalpinischen Gallien
die Offensive zu ergreifen, so hatte er allen Grund dem Ausgang
des Krieges mit Zuversicht entgegenzusehen. Pompeius, als Tak-
tiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm überlegen, war in einem
solchen regelmässig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Geg-
ner; jetzt liess er, gewohnt mit überlegenen Massen langsam und
sicher zu operiren, durch einen so durchaus improvisirten An-
griff vielleicht sich deroutiren. Die jetzt Caesar gegenüberstehende
Armee bestand entweder aus seinen alten Soldaten oder aus
schlecht geübten und in der Bildung begriffenen Rekrutenabthei-
lungen; was seine dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des
gallischen Ueberfalls und der Januarcampagne im Bellovakerland
(S. 266) nicht aus der Fassung bringen konnte, die Plötzlich-
keit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, musste
solche Heerhaufen desorganisiren. -- So rückte denn Caesar in
Italien ein.* Zwei Chausseen führten damals aus der Romagna
nach Süden: die aemilisch-cassische, die von Bononia über den
Apennin nach Arretium und Rom, und die popillisch-flaminische,
die von Ravenna nach Fanum an der Küste des adriatischen Meeres
sich hielt und dort sich theilend, in westlicher Richtung durch den
Furlopass nach Rom, in südlicher nach Ancon und weiter nach
Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arre-
tium, auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward
nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Mi-
litärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstädter nur
besorgt nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio

* Der Senatbeschluss war vom 7. Jan.; am 18. wusste man schon in
Rom seit mehreren Tagen, dass Caesar eingerückt sei (Cic. ad Att. 7, 10.
9, 10, 4); der Bote von Ravenna nach Rom brauchte allermindestens drei
Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der
gangbaren Reduction dem julianischen 24. Nov. 704 entspricht.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
ven bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange
bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars
in Italien einrücken konnte, muſste hier ein weit überlegenes Heer
bereit stehen sie zu empfangen. Es schien eine Thorheit mit
einem Haufen von der Stärke des catilinarischen und augenblick-
lich ohne wirksame Reserve gegen eine überlegene und stündlich
anwachsende Armee unter einem fähigen Feldherrn angreifend
vorzugehen; allein es war eine Thorheit im Geiste Hannibals.
Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich hinauszog
und Pompeius gestattet ward mit seinen spanischen Truppen im
transalpinischen, mit seinen italischen im cisalpinischen Gallien
die Offensive zu ergreifen, so hatte er allen Grund dem Ausgang
des Krieges mit Zuversicht entgegenzusehen. Pompeius, als Tak-
tiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm überlegen, war in einem
solchen regelmäſsig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Geg-
ner; jetzt lieſs er, gewohnt mit überlegenen Massen langsam und
sicher zu operiren, durch einen so durchaus improvisirten An-
griff vielleicht sich deroutiren. Die jetzt Caesar gegenüberstehende
Armee bestand entweder aus seinen alten Soldaten oder aus
schlecht geübten und in der Bildung begriffenen Rekrutenabthei-
lungen; was seine dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des
gallischen Ueberfalls und der Januarcampagne im Bellovakerland
(S. 266) nicht aus der Fassung bringen konnte, die Plötzlich-
keit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, muſste
solche Heerhaufen desorganisiren. — So rückte denn Caesar in
Italien ein.* Zwei Chausseen führten damals aus der Romagna
nach Süden: die aemilisch-cassische, die von Bononia über den
Apennin nach Arretium und Rom, und die popillisch-flaminische,
die von Ravenna nach Fanum an der Küste des adriatischen Meeres
sich hielt und dort sich theilend, in westlicher Richtung durch den
Furlopaſs nach Rom, in südlicher nach Ancon und weiter nach
Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arre-
tium, auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward
nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Mi-
litärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstädter nur
besorgt nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio

* Der Senatbeschluſs war vom 7. Jan.; am 18. wuſste man schon in
Rom seit mehreren Tagen, daſs Caesar eingerückt sei (Cic. ad Att. 7, 10.
9, 10, 4); der Bote von Ravenna nach Rom brauchte allermindestens drei
Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der
gangbaren Reduction dem julianischen 24. Nov. 704 entspricht.
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[352/0362] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. ven bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars in Italien einrücken konnte, muſste hier ein weit überlegenes Heer bereit stehen sie zu empfangen. Es schien eine Thorheit mit einem Haufen von der Stärke des catilinarischen und augenblick- lich ohne wirksame Reserve gegen eine überlegene und stündlich anwachsende Armee unter einem fähigen Feldherrn angreifend vorzugehen; allein es war eine Thorheit im Geiste Hannibals. Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich hinauszog und Pompeius gestattet ward mit seinen spanischen Truppen im transalpinischen, mit seinen italischen im cisalpinischen Gallien die Offensive zu ergreifen, so hatte er allen Grund dem Ausgang des Krieges mit Zuversicht entgegenzusehen. Pompeius, als Tak- tiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm überlegen, war in einem solchen regelmäſsig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Geg- ner; jetzt lieſs er, gewohnt mit überlegenen Massen langsam und sicher zu operiren, durch einen so durchaus improvisirten An- griff vielleicht sich deroutiren. Die jetzt Caesar gegenüberstehende Armee bestand entweder aus seinen alten Soldaten oder aus schlecht geübten und in der Bildung begriffenen Rekrutenabthei- lungen; was seine dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des gallischen Ueberfalls und der Januarcampagne im Bellovakerland (S. 266) nicht aus der Fassung bringen konnte, die Plötzlich- keit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, muſste solche Heerhaufen desorganisiren. — So rückte denn Caesar in Italien ein. * Zwei Chausseen führten damals aus der Romagna nach Süden: die aemilisch-cassische, die von Bononia über den Apennin nach Arretium und Rom, und die popillisch-flaminische, die von Ravenna nach Fanum an der Küste des adriatischen Meeres sich hielt und dort sich theilend, in westlicher Richtung durch den Furlopaſs nach Rom, in südlicher nach Ancon und weiter nach Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arre- tium, auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Mi- litärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstädter nur besorgt nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio * Der Senatbeschluſs war vom 7. Jan.; am 18. wuſste man schon in Rom seit mehreren Tagen, daſs Caesar eingerückt sei (Cic. ad Att. 7, 10. 9, 10, 4); der Bote von Ravenna nach Rom brauchte allermindestens drei Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der gangbaren Reduction dem julianischen 24. Nov. 704 entspricht.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/362>, abgerufen am 22.05.2024.