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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
nicht unbekannt gebliebenen An- und Absichten des Erben des Ga-
ius Gracchus über die erforderliche Reunion der abhängigen Staa-
ten und die Nützlichkeit der Provinzialcolonisationen. Keiner unter
den abhängigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich näher be-
droht als König Juba von Numidien. Nicht bloss war er vor Jah-
ren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar per-
sönlich aufs heftigste zusammengerathen, sondern es hatte auch
kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast
den ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den
Antrag auf Einziehung des numidischen Reiches gestellt. Sollte
endlich es so weit kommen, dass die unabhängigen Nachbarstaa-
ten in den römischen Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige
wirklich mächtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros
und Bibulus angeknüpfte Verbindung (S. 322) thatsächlich be-
reits mit der aristokratischen Partei alliirt, während Caesar viel
zu sehr Römer war um aus Parteiinteressen sich mit den Ueber-
windern seines Freundes Crassus zu verkuppeln. Was endlich
Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die grosse Majorität
der Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die ge-
sammte Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht
viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte
bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre par-
teiischen Geschwornengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu
conserviren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen
Capitalisten, die Landgutbesitzer und überhaupt alle Klassen, die
etwas zu verlieren hatten; nur dass freilich in diesen Schichten
die Sorge um die nächsten Zinstermine und um Saaten und Ern-
ten jede andere Rücksicht in der Regel überwog. -- Unter den
Waffen standen indess auf dieser Seite zunächst nur die zwei von
Caesar kürzlich abgegebenen Legionen, deren Effectivbestand sich
nicht über 7000 Mann belief und deren Zuverlässigkeit mehr als
zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im diesseitigen Gallien und
alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine Intrigue, durch die
man sie das Lager hatte wechseln machen (S. 335), in hohem
Grade missvergnügt waren und ihres Feldherrn, der ihnen vor
ihrem Abmarsch die für den Triumph jedem Soldaten verspro-
chenen Geschenke grossmüthig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig
gedachten. Allein ausser den spanischen Truppen, die mit dem
Frühjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See
in Italien eintreffen konnten, brauchte in Italien selbst die Mann-
schaft der von den Aushebungen von 699 noch übrigen drei Le-
gionen (S. 295) so wie das im J. 702 in Pflicht genommene ita-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
nicht unbekannt gebliebenen An- und Absichten des Erben des Ga-
ius Gracchus über die erforderliche Reunion der abhängigen Staa-
ten und die Nützlichkeit der Provinzialcolonisationen. Keiner unter
den abhängigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich näher be-
droht als König Juba von Numidien. Nicht bloſs war er vor Jah-
ren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar per-
sönlich aufs heftigste zusammengerathen, sondern es hatte auch
kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast
den ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den
Antrag auf Einziehung des numidischen Reiches gestellt. Sollte
endlich es so weit kommen, daſs die unabhängigen Nachbarstaa-
ten in den römischen Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige
wirklich mächtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros
und Bibulus angeknüpfte Verbindung (S. 322) thatsächlich be-
reits mit der aristokratischen Partei alliirt, während Caesar viel
zu sehr Römer war um aus Parteiinteressen sich mit den Ueber-
windern seines Freundes Crassus zu verkuppeln. Was endlich
Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die groſse Majorität
der Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die ge-
sammte Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht
viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte
bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre par-
teiischen Geschwornengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu
conserviren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen
Capitalisten, die Landgutbesitzer und überhaupt alle Klassen, die
etwas zu verlieren hatten; nur daſs freilich in diesen Schichten
die Sorge um die nächsten Zinstermine und um Saaten und Ern-
ten jede andere Rücksicht in der Regel überwog. — Unter den
Waffen standen indeſs auf dieser Seite zunächst nur die zwei von
Caesar kürzlich abgegebenen Legionen, deren Effectivbestand sich
nicht über 7000 Mann belief und deren Zuverlässigkeit mehr als
zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im diesseitigen Gallien und
alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine Intrigue, durch die
man sie das Lager hatte wechseln machen (S. 335), in hohem
Grade miſsvergnügt waren und ihres Feldherrn, der ihnen vor
ihrem Abmarsch die für den Triumph jedem Soldaten verspro-
chenen Geschenke groſsmüthig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig
gedachten. Allein auſser den spanischen Truppen, die mit dem
Frühjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See
in Italien eintreffen konnten, brauchte in Italien selbst die Mann-
schaft der von den Aushebungen von 699 noch übrigen drei Le-
gionen (S. 295) so wie das im J. 702 in Pflicht genommene ita-

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[350/0360] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. nicht unbekannt gebliebenen An- und Absichten des Erben des Ga- ius Gracchus über die erforderliche Reunion der abhängigen Staa- ten und die Nützlichkeit der Provinzialcolonisationen. Keiner unter den abhängigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich näher be- droht als König Juba von Numidien. Nicht bloſs war er vor Jah- ren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar per- sönlich aufs heftigste zusammengerathen, sondern es hatte auch kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast den ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den Antrag auf Einziehung des numidischen Reiches gestellt. Sollte endlich es so weit kommen, daſs die unabhängigen Nachbarstaa- ten in den römischen Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige wirklich mächtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros und Bibulus angeknüpfte Verbindung (S. 322) thatsächlich be- reits mit der aristokratischen Partei alliirt, während Caesar viel zu sehr Römer war um aus Parteiinteressen sich mit den Ueber- windern seines Freundes Crassus zu verkuppeln. Was endlich Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die groſse Majorität der Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die ge- sammte Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre par- teiischen Geschwornengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu conserviren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen Capitalisten, die Landgutbesitzer und überhaupt alle Klassen, die etwas zu verlieren hatten; nur daſs freilich in diesen Schichten die Sorge um die nächsten Zinstermine und um Saaten und Ern- ten jede andere Rücksicht in der Regel überwog. — Unter den Waffen standen indeſs auf dieser Seite zunächst nur die zwei von Caesar kürzlich abgegebenen Legionen, deren Effectivbestand sich nicht über 7000 Mann belief und deren Zuverlässigkeit mehr als zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im diesseitigen Gallien und alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine Intrigue, durch die man sie das Lager hatte wechseln machen (S. 335), in hohem Grade miſsvergnügt waren und ihres Feldherrn, der ihnen vor ihrem Abmarsch die für den Triumph jedem Soldaten verspro- chenen Geschenke groſsmüthig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig gedachten. Allein auſser den spanischen Truppen, die mit dem Frühjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See in Italien eintreffen konnten, brauchte in Italien selbst die Mann- schaft der von den Aushebungen von 699 noch übrigen drei Le- gionen (S. 295) so wie das im J. 702 in Pflicht genommene ita-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/360>, abgerufen am 15.05.2024.