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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
cessionen und ähnliche antiquirte Formalitäten sich zu beküm-
mern. Es ging dies zunächst darauf, dass Caesar sein Amt durch
Volksschluss garantirt war und mehrere Tribune von Caesars
Partei sich bereit hielten jeden Caesar feindlichen Senatsbeschluss
durch Intercession zu annulliren; allein es sprach sich unzweifel-
haft darin die Ansicht der entschiedenen Opposition überhaupt
aus, dass es nothwendig sei nach einem allfälligen Siege energi-
scher noch, als Sulla gethan, die Oligarchie durchzuführen und
alles, was wie Volksfreiheit auch nur aussah, gründlich zu besei-
tigen; wie man es denn auch ohne Zweifel absichtlich unterliess
sich bei diesen Angriffen gegen Caesar irgendwie der Comitien zu
bedienen. -- Caesar blieb trotz jener offenbar feindlichen Be-
schlüsse seiner bisherigen Taktik treu. Zwar zog er, nachdem die
Insurrection in Gallien überwältigt war, unter dem schicklichen
Vorwand der Grenzvertheidigung (S. 274) im Sommer 703 eine
Legion nach Norditalien, allein er brach nicht bloss nicht mit
dem Senat, sondern er gab die Hoffnung nicht auf die Senats-
majorität, deren Angst vor dem Bruch bekannt war, ungeachtet
des von Pompeius auf sie ausgeübten Druckes für die von Caesar
herrührenden Vergleichsvorschläge zu gewinnen, so dass nicht
er, sondern der Gegner in offenen Widerspruch mit der höchsten
Regierungsbehörde gerieth. Die Ausführung dieser ebenso viel
List wie Muth erfordernden Aufgabe übernahm der Volkstribun
Gaius Curio, wohl das eminenteste unter den liederlichen Genies*
dieser Epoche, übertroffen an vornehmer Eleganz, an fliessender
und geistreicher Rede, an der bei energisch angelegten, aber ver-
lotterten Charakteren in den Pausen des Müssiggangs nur um so
mächtiger sich regenden Thatkraft, aber auch unübertroffen in
wüster Wirthschaft, im Borgtalent -- man berechnete seine Schul-
den auf 60 Mill. Sest. (4 Mill. Thlr.) -- und in sittlicher und po-
litischer Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich
zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden; das Talent, das
er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelte, bestimmte
diesen ihn nachträglich zu erstehen -- der Preis war hoch, aber
die Waare war es werth. Curio hatte bisher den Demagogen ge-
macht und als solcher gewettert sowohl gegen Caesar wie gegen
Pompeius. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm
gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im Frühjahr
704 der Antrag Caesar zur Niederlegung seines ausserordentli-
chen Commandos in Gallien zu veranlassen wieder zur Verhand-

* Homo ingeniosissime nequam (Velleius).

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
cessionen und ähnliche antiquirte Formalitäten sich zu beküm-
mern. Es ging dies zunächst darauf, daſs Caesar sein Amt durch
Volksschluſs garantirt war und mehrere Tribune von Caesars
Partei sich bereit hielten jeden Caesar feindlichen Senatsbeschluſs
durch Intercession zu annulliren; allein es sprach sich unzweifel-
haft darin die Ansicht der entschiedenen Opposition überhaupt
aus, daſs es nothwendig sei nach einem allfälligen Siege energi-
scher noch, als Sulla gethan, die Oligarchie durchzuführen und
alles, was wie Volksfreiheit auch nur aussah, gründlich zu besei-
tigen; wie man es denn auch ohne Zweifel absichtlich unterlieſs
sich bei diesen Angriffen gegen Caesar irgendwie der Comitien zu
bedienen. — Caesar blieb trotz jener offenbar feindlichen Be-
schlüsse seiner bisherigen Taktik treu. Zwar zog er, nachdem die
Insurrection in Gallien überwältigt war, unter dem schicklichen
Vorwand der Grenzvertheidigung (S. 274) im Sommer 703 eine
Legion nach Norditalien, allein er brach nicht bloſs nicht mit
dem Senat, sondern er gab die Hoffnung nicht auf die Senats-
majorität, deren Angst vor dem Bruch bekannt war, ungeachtet
des von Pompeius auf sie ausgeübten Druckes für die von Caesar
herrührenden Vergleichsvorschläge zu gewinnen, so daſs nicht
er, sondern der Gegner in offenen Widerspruch mit der höchsten
Regierungsbehörde gerieth. Die Ausführung dieser ebenso viel
List wie Muth erfordernden Aufgabe übernahm der Volkstribun
Gaius Curio, wohl das eminenteste unter den liederlichen Genies*
dieser Epoche, übertroffen an vornehmer Eleganz, an flieſsender
und geistreicher Rede, an der bei energisch angelegten, aber ver-
lotterten Charakteren in den Pausen des Müssiggangs nur um so
mächtiger sich regenden Thatkraft, aber auch unübertroffen in
wüster Wirthschaft, im Borgtalent — man berechnete seine Schul-
den auf 60 Mill. Sest. (4 Mill. Thlr.) — und in sittlicher und po-
litischer Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich
zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden; das Talent, das
er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelte, bestimmte
diesen ihn nachträglich zu erstehen — der Preis war hoch, aber
die Waare war es werth. Curio hatte bisher den Demagogen ge-
macht und als solcher gewettert sowohl gegen Caesar wie gegen
Pompeius. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm
gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im Frühjahr
704 der Antrag Caesar zur Niederlegung seines auſserordentli-
chen Commandos in Gallien zu veranlassen wieder zur Verhand-

* Homo ingeniosissime nequam (Velleius).
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[334/0344] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX. cessionen und ähnliche antiquirte Formalitäten sich zu beküm- mern. Es ging dies zunächst darauf, daſs Caesar sein Amt durch Volksschluſs garantirt war und mehrere Tribune von Caesars Partei sich bereit hielten jeden Caesar feindlichen Senatsbeschluſs durch Intercession zu annulliren; allein es sprach sich unzweifel- haft darin die Ansicht der entschiedenen Opposition überhaupt aus, daſs es nothwendig sei nach einem allfälligen Siege energi- scher noch, als Sulla gethan, die Oligarchie durchzuführen und alles, was wie Volksfreiheit auch nur aussah, gründlich zu besei- tigen; wie man es denn auch ohne Zweifel absichtlich unterlieſs sich bei diesen Angriffen gegen Caesar irgendwie der Comitien zu bedienen. — Caesar blieb trotz jener offenbar feindlichen Be- schlüsse seiner bisherigen Taktik treu. Zwar zog er, nachdem die Insurrection in Gallien überwältigt war, unter dem schicklichen Vorwand der Grenzvertheidigung (S. 274) im Sommer 703 eine Legion nach Norditalien, allein er brach nicht bloſs nicht mit dem Senat, sondern er gab die Hoffnung nicht auf die Senats- majorität, deren Angst vor dem Bruch bekannt war, ungeachtet des von Pompeius auf sie ausgeübten Druckes für die von Caesar herrührenden Vergleichsvorschläge zu gewinnen, so daſs nicht er, sondern der Gegner in offenen Widerspruch mit der höchsten Regierungsbehörde gerieth. Die Ausführung dieser ebenso viel List wie Muth erfordernden Aufgabe übernahm der Volkstribun Gaius Curio, wohl das eminenteste unter den liederlichen Genies * dieser Epoche, übertroffen an vornehmer Eleganz, an flieſsender und geistreicher Rede, an der bei energisch angelegten, aber ver- lotterten Charakteren in den Pausen des Müssiggangs nur um so mächtiger sich regenden Thatkraft, aber auch unübertroffen in wüster Wirthschaft, im Borgtalent — man berechnete seine Schul- den auf 60 Mill. Sest. (4 Mill. Thlr.) — und in sittlicher und po- litischer Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden; das Talent, das er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelte, bestimmte diesen ihn nachträglich zu erstehen — der Preis war hoch, aber die Waare war es werth. Curio hatte bisher den Demagogen ge- macht und als solcher gewettert sowohl gegen Caesar wie gegen Pompeius. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im Frühjahr 704 der Antrag Caesar zur Niederlegung seines auſserordentli- chen Commandos in Gallien zu veranlassen wieder zur Verhand- * Homo ingeniosissime nequam (Velleius).

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/344>, abgerufen am 15.05.2024.