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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
waffe unterliegen muss, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen
Mann zu gelangen vermag. Die concentrirte Stellung, auf der die
ganze römische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen An-
griff gegenüber die Gefahr; je dichter die römische Colonne sich
schaarte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoss, aber
desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter ge-
wöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu vertheidigen und Boden-
schwierigkeiten zu berücksichtigen sind, wäre es nicht möglich
jene bloss mit Reiterei gegen Fussvolk operirende Taktik voll-
kommen durchzuführen; in der mesopotamischen Wüste, wo
das Heer fast wie das Schiff auf der hohen See viele Tagemärsche
hindurch weder auf ein Hinderniss noch auf einen strategischen
Anhaltspunct traf, war diese Kriegführung eben darum so un-
widerstehlich, weil die Verhältnisse gestatteten sie in ihrer gan-
zen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier
vereinigte sich alles um die fremden Fussgänger gegen die ein-
heimischen Reiter in Nachtheil zu setzen. Wo der schwerbeladene
römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die Steppe
sich hinschleppte und auf dem pfadlosen durch weit auseinander
gelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege
vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische
Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt auf seinem Thier zu
sitzen, ja fast auf demselben zu leben, auf seinem geschwinden
Ross oder Kameel leicht durch die Wüste, deren Ungemach er seit
langem sich zu erleichtern und im Nothfall zu ertragen gewöhnt
war. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche Hitze gemildert und
die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schützen
und Schleuderer erschlafft hätte; hier war an vielen Stellen es
kaum möglich in dem tiefen Sande ordentliche Gräben und Wälle
für das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage
zu erdenken, in der die militärischen Vortheile mehr auf der
einen, die Nachtheile mehr auf der andern Seite wären. -- Auf
die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese
neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten
Terrain sich der römischen überlegen erwies, können wir leider
nur mit Muthmassungen antworten. Die Lanzenreiter und berit-
tenen Bogenschützen an sich sind im Orient uralt und bildeten
bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios.
Aber bisher waren diese Waffen nur nebenbei und wesentlich zur
Deckung der durchaus unbrauchbaren Infanterie verwendet wor-
den und die parthischen Heere weichen hierin von den übrigen
orientalischen ab; es werden parthische Armeen erwähnt, die zu

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
waffe unterliegen muſs, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen
Mann zu gelangen vermag. Die concentrirte Stellung, auf der die
ganze römische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen An-
griff gegenüber die Gefahr; je dichter die römische Colonne sich
schaarte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoſs, aber
desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter ge-
wöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu vertheidigen und Boden-
schwierigkeiten zu berücksichtigen sind, wäre es nicht möglich
jene bloſs mit Reiterei gegen Fuſsvolk operirende Taktik voll-
kommen durchzuführen; in der mesopotamischen Wüste, wo
das Heer fast wie das Schiff auf der hohen See viele Tagemärsche
hindurch weder auf ein Hinderniſs noch auf einen strategischen
Anhaltspunct traf, war diese Kriegführung eben darum so un-
widerstehlich, weil die Verhältnisse gestatteten sie in ihrer gan-
zen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier
vereinigte sich alles um die fremden Fuſsgänger gegen die ein-
heimischen Reiter in Nachtheil zu setzen. Wo der schwerbeladene
römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die Steppe
sich hinschleppte und auf dem pfadlosen durch weit auseinander
gelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege
vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische
Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt auf seinem Thier zu
sitzen, ja fast auf demselben zu leben, auf seinem geschwinden
Roſs oder Kameel leicht durch die Wüste, deren Ungemach er seit
langem sich zu erleichtern und im Nothfall zu ertragen gewöhnt
war. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche Hitze gemildert und
die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schützen
und Schleuderer erschlafft hätte; hier war an vielen Stellen es
kaum möglich in dem tiefen Sande ordentliche Gräben und Wälle
für das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage
zu erdenken, in der die militärischen Vortheile mehr auf der
einen, die Nachtheile mehr auf der andern Seite wären. — Auf
die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese
neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten
Terrain sich der römischen überlegen erwies, können wir leider
nur mit Muthmaſsungen antworten. Die Lanzenreiter und berit-
tenen Bogenschützen an sich sind im Orient uralt und bildeten
bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios.
Aber bisher waren diese Waffen nur nebenbei und wesentlich zur
Deckung der durchaus unbrauchbaren Infanterie verwendet wor-
den und die parthischen Heere weichen hierin von den übrigen
orientalischen ab; es werden parthische Armeen erwähnt, die zu

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[316/0326] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX. waffe unterliegen muſs, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen Mann zu gelangen vermag. Die concentrirte Stellung, auf der die ganze römische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen An- griff gegenüber die Gefahr; je dichter die römische Colonne sich schaarte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoſs, aber desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter ge- wöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu vertheidigen und Boden- schwierigkeiten zu berücksichtigen sind, wäre es nicht möglich jene bloſs mit Reiterei gegen Fuſsvolk operirende Taktik voll- kommen durchzuführen; in der mesopotamischen Wüste, wo das Heer fast wie das Schiff auf der hohen See viele Tagemärsche hindurch weder auf ein Hinderniſs noch auf einen strategischen Anhaltspunct traf, war diese Kriegführung eben darum so un- widerstehlich, weil die Verhältnisse gestatteten sie in ihrer gan- zen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier vereinigte sich alles um die fremden Fuſsgänger gegen die ein- heimischen Reiter in Nachtheil zu setzen. Wo der schwerbeladene römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die Steppe sich hinschleppte und auf dem pfadlosen durch weit auseinander gelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt auf seinem Thier zu sitzen, ja fast auf demselben zu leben, auf seinem geschwinden Roſs oder Kameel leicht durch die Wüste, deren Ungemach er seit langem sich zu erleichtern und im Nothfall zu ertragen gewöhnt war. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche Hitze gemildert und die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schützen und Schleuderer erschlafft hätte; hier war an vielen Stellen es kaum möglich in dem tiefen Sande ordentliche Gräben und Wälle für das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage zu erdenken, in der die militärischen Vortheile mehr auf der einen, die Nachtheile mehr auf der andern Seite wären. — Auf die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten Terrain sich der römischen überlegen erwies, können wir leider nur mit Muthmaſsungen antworten. Die Lanzenreiter und berit- tenen Bogenschützen an sich sind im Orient uralt und bildeten bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios. Aber bisher waren diese Waffen nur nebenbei und wesentlich zur Deckung der durchaus unbrauchbaren Infanterie verwendet wor- den und die parthischen Heere weichen hierin von den übrigen orientalischen ab; es werden parthische Armeen erwähnt, die zu

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/326>, abgerufen am 22.05.2024.