Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII. ist in den catullischen Gedichten* und den sonstigen Trümmernder Litteratur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persön- lich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demo- sthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher er- kannte es wohl, dass es ebenso unmöglich war diese Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. So weit er konnte, versuchte Caesar die namhaftesten Schriftsteller persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten Theil seinem litterarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch Vermittlung des Vaters desselben, in dessen Hause Caesar abzu- steigen pflegte, wenn er nach Verona kam, seinen Specialfrieden zu schliessen und der junge Dichter, der den mächtigen General eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen über- schüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug um seinen litterarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Ge- sammtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, wel- cher die Nothwendigkeit und Verfassungsmässigkeit seiner Krieg- führung mit glücklich angenommener Naivetät vor dem Publikum entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal un- bedingt und ausschliesslich die Freiheit; sie und sie allein ver- mag es noch in der elendesten Carricatur, noch mit ihrem letz- ten Athemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Ele- mente der Litteratur waren und blieben antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, dass er selbst sogar jetzt noch den grossartigen Traum eines freien Gemeinwesens im * Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Er-
eignisse der J. 699 und 700 und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozess des Vati- nius (Aug. 700). Hieronymus Angabe, dass Catullus 697/8 gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, dass Vati- nius ,bei seinem Consulat sich verschwört', hat man mit Unrecht geschlos- sen, dass die Sammlung erst nach Vatinius Consulat (707) erschienen ist; es folgt daraus nur, dass Vatinius, als sie erschien, schon erwartete Consul zu werden, wozu er bereits 700 alle Ursache hatte; denn ohne Zweifel stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Candidatenliste (Cicero ad Att. 4, 8b, 2). FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII. ist in den catullischen Gedichten* und den sonstigen Trümmernder Litteratur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persön- lich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demo- sthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher er- kannte es wohl, daſs es ebenso unmöglich war diese Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. So weit er konnte, versuchte Caesar die namhaftesten Schriftsteller persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten Theil seinem litterarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch Vermittlung des Vaters desselben, in dessen Hause Caesar abzu- steigen pflegte, wenn er nach Verona kam, seinen Specialfrieden zu schlieſsen und der junge Dichter, der den mächtigen General eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen über- schüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug um seinen litterarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Ge- sammtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, wel- cher die Nothwendigkeit und Verfassungsmäſsigkeit seiner Krieg- führung mit glücklich angenommener Naivetät vor dem Publikum entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal un- bedingt und ausschlieſslich die Freiheit; sie und sie allein ver- mag es noch in der elendesten Carricatur, noch mit ihrem letz- ten Athemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Ele- mente der Litteratur waren und blieben antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, daſs er selbst sogar jetzt noch den groſsartigen Traum eines freien Gemeinwesens im * Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Er-
eignisse der J. 699 und 700 und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeſs des Vati- nius (Aug. 700). Hieronymus Angabe, daſs Catullus 697/8 gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daſs Vati- nius ‚bei seinem Consulat sich verschwört‘, hat man mit Unrecht geschlos- sen, daſs die Sammlung erst nach Vatinius Consulat (707) erschienen ist; es folgt daraus nur, daſs Vatinius, als sie erschien, schon erwartete Consul zu werden, wozu er bereits 700 alle Ursache hatte; denn ohne Zweifel stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Candidatenliste (Cicero ad Att. 4, 8b, 2). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0314" n="304"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.</fw><lb/> ist in den catullischen Gedichten<note place="foot" n="*">Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Er-<lb/> eignisse der J. 699 und 700 und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt<lb/> gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeſs des Vati-<lb/> nius (Aug. 700). Hieronymus Angabe, daſs Catullus 697/8 gestorben,<lb/> braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daſs Vati-<lb/> nius ‚bei seinem Consulat sich verschwört‘, hat man mit Unrecht geschlos-<lb/> sen, daſs die Sammlung erst nach Vatinius Consulat (707) erschienen ist;<lb/> es folgt daraus nur, daſs Vatinius, als sie erschien, schon erwartete Consul<lb/> zu werden, wozu er bereits 700 alle Ursache hatte; denn ohne Zweifel<lb/> stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Candidatenliste (Cicero<lb/><hi rendition="#i">ad Att.</hi> 4, 8<hi rendition="#i">b</hi>, 2).</note> und den sonstigen Trümmern<lb/> der Litteratur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persön-<lb/> lich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster<lb/> Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie<lb/> in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demo-<lb/> sthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher er-<lb/> kannte es wohl, daſs es ebenso unmöglich war diese Opposition<lb/> zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. So<lb/> weit er konnte, versuchte Caesar die namhaftesten Schriftsteller<lb/> persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle<lb/> Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten<lb/> Theil seinem litterarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter<lb/> Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch<lb/> Vermittlung des Vaters desselben, in dessen Hause Caesar abzu-<lb/> steigen pflegte, wenn er nach Verona kam, seinen Specialfrieden<lb/> zu schlieſsen und der junge Dichter, der den mächtigen General<lb/> eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen über-<lb/> schüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten<lb/> Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug um<lb/> seinen litterarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und<lb/> als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Ge-<lb/> sammtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, wel-<lb/> cher die Nothwendigkeit und Verfassungsmäſsigkeit seiner Krieg-<lb/> führung mit glücklich angenommener Naivetät vor dem Publikum<lb/> entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal un-<lb/> bedingt und ausschlieſslich die Freiheit; sie und sie allein ver-<lb/> mag es noch in der elendesten Carricatur, noch mit ihrem letz-<lb/> ten Athemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Ele-<lb/> mente der Litteratur waren und blieben antimonarchisch, und<lb/> wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu<lb/> scheitern, so war der Grund doch nur, daſs er selbst sogar jetzt<lb/> noch den groſsartigen Traum eines freien Gemeinwesens im<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [304/0314]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
ist in den catullischen Gedichten * und den sonstigen Trümmern
der Litteratur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persön-
lich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster
Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie
in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demo-
sthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher er-
kannte es wohl, daſs es ebenso unmöglich war diese Opposition
zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. So
weit er konnte, versuchte Caesar die namhaftesten Schriftsteller
persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle
Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten
Theil seinem litterarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter
Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch
Vermittlung des Vaters desselben, in dessen Hause Caesar abzu-
steigen pflegte, wenn er nach Verona kam, seinen Specialfrieden
zu schlieſsen und der junge Dichter, der den mächtigen General
eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen über-
schüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten
Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug um
seinen litterarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und
als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Ge-
sammtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, wel-
cher die Nothwendigkeit und Verfassungsmäſsigkeit seiner Krieg-
führung mit glücklich angenommener Naivetät vor dem Publikum
entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal un-
bedingt und ausschlieſslich die Freiheit; sie und sie allein ver-
mag es noch in der elendesten Carricatur, noch mit ihrem letz-
ten Athemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Ele-
mente der Litteratur waren und blieben antimonarchisch, und
wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu
scheitern, so war der Grund doch nur, daſs er selbst sogar jetzt
noch den groſsartigen Traum eines freien Gemeinwesens im
* Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Er-
eignisse der J. 699 und 700 und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt
gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeſs des Vati-
nius (Aug. 700). Hieronymus Angabe, daſs Catullus 697/8 gestorben,
braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daſs Vati-
nius ‚bei seinem Consulat sich verschwört‘, hat man mit Unrecht geschlos-
sen, daſs die Sammlung erst nach Vatinius Consulat (707) erschienen ist;
es folgt daraus nur, daſs Vatinius, als sie erschien, schon erwartete Consul
zu werden, wozu er bereits 700 alle Ursache hatte; denn ohne Zweifel
stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Candidatenliste (Cicero
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