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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
hafter geführt, als dem Herkommen gemäss das Anklagegeschäft
der senatorischen Jugend zukam und begreiflicher Weise unter
diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen
noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke An-
griffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei;
wenn die Machthaber ernstlich befahlen, wagten sie so wenig wie
der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern
wurde von der Opposition mit so grimmigem fast sprichwörtlich
gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der ver-
wegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern
Caesars; aber sein Herr befahl und er ward von allen gegen ihn
erhobenen Anklagen freigesprochen. Indess Anklagen von Män-
nern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Caius Asinius Pollio
das Schwert der Dialektik und die Geissel des Spottes zu schwin-
gen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann noch nicht ganz,
wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus.
Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen da-
vongetragen, allein es ward doch auch durch sie einer der höchst-
gestellten und verhasstesten Anhänger der Dynasten gestürzt, der
Consular Gabinius, den die Geschwornen Ende 700 der Erpres-
sungen schuldig fanden und ihn in die Verbannung schickten. Al-
lerdings vereinigte gegen Gabinius mit dem unversöhnlichen Hass
der Aristokratie, die ihm das Seeräubergesetz so wenig vergab
wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner sy-
rischen Statthalterschaft, sich die Wuth der hohen Finanz, der
gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte die Interessen
der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus,
dem er bei Uebergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht
hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pom-
peius und dieser hatte alle Ursache seinen fähigsten, kecksten
und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu vertheidigen; aber
hier wie überall verstand er es nicht seine Macht zu gebrauchen
und seine Clienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat.
-- Im Ganzen war auf dem Gebiet der Volkswahlen und der Ge-
schwornengerichte der Erfolg der Machthaber nur ein sehr zwei-
felhafter und getheilter. Die Factoren, die hier herrschten, waren
minder greifbar und eben darum weit schwerer zu terrorisiren
oder zu corrumpiren als die unmittelbaren Organe der Regierung
und Verwaltung. Die Gewalthaber stiessen hier, namentlich in
den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in
Coterien gruppirten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht
fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat und die um so

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
hafter geführt, als dem Herkommen gemäſs das Anklagegeschäft
der senatorischen Jugend zukam und begreiflicher Weise unter
diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen
noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke An-
griffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei;
wenn die Machthaber ernstlich befahlen, wagten sie so wenig wie
der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern
wurde von der Opposition mit so grimmigem fast sprichwörtlich
gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der ver-
wegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern
Caesars; aber sein Herr befahl und er ward von allen gegen ihn
erhobenen Anklagen freigesprochen. Indeſs Anklagen von Män-
nern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Caius Asinius Pollio
das Schwert der Dialektik und die Geiſsel des Spottes zu schwin-
gen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann noch nicht ganz,
wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus.
Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen da-
vongetragen, allein es ward doch auch durch sie einer der höchst-
gestellten und verhaſstesten Anhänger der Dynasten gestürzt, der
Consular Gabinius, den die Geschwornen Ende 700 der Erpres-
sungen schuldig fanden und ihn in die Verbannung schickten. Al-
lerdings vereinigte gegen Gabinius mit dem unversöhnlichen Haſs
der Aristokratie, die ihm das Seeräubergesetz so wenig vergab
wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner sy-
rischen Statthalterschaft, sich die Wuth der hohen Finanz, der
gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte die Interessen
der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus,
dem er bei Uebergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht
hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pom-
peius und dieser hatte alle Ursache seinen fähigsten, kecksten
und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu vertheidigen; aber
hier wie überall verstand er es nicht seine Macht zu gebrauchen
und seine Clienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat.
— Im Ganzen war auf dem Gebiet der Volkswahlen und der Ge-
schwornengerichte der Erfolg der Machthaber nur ein sehr zwei-
felhafter und getheilter. Die Factoren, die hier herrschten, waren
minder greifbar und eben darum weit schwerer zu terrorisiren
oder zu corrumpiren als die unmittelbaren Organe der Regierung
und Verwaltung. Die Gewalthaber stieſsen hier, namentlich in
den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in
Coterien gruppirten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht
fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat und die um so

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[302/0312] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII. hafter geführt, als dem Herkommen gemäſs das Anklagegeschäft der senatorischen Jugend zukam und begreiflicher Weise unter diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke An- griffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die Machthaber ernstlich befahlen, wagten sie so wenig wie der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition mit so grimmigem fast sprichwörtlich gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der ver- wegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern Caesars; aber sein Herr befahl und er ward von allen gegen ihn erhobenen Anklagen freigesprochen. Indeſs Anklagen von Män- nern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Caius Asinius Pollio das Schwert der Dialektik und die Geiſsel des Spottes zu schwin- gen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann noch nicht ganz, wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen da- vongetragen, allein es ward doch auch durch sie einer der höchst- gestellten und verhaſstesten Anhänger der Dynasten gestürzt, der Consular Gabinius, den die Geschwornen Ende 700 der Erpres- sungen schuldig fanden und ihn in die Verbannung schickten. Al- lerdings vereinigte gegen Gabinius mit dem unversöhnlichen Haſs der Aristokratie, die ihm das Seeräubergesetz so wenig vergab wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner sy- rischen Statthalterschaft, sich die Wuth der hohen Finanz, der gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte die Interessen der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er bei Uebergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pom- peius und dieser hatte alle Ursache seinen fähigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu vertheidigen; aber hier wie überall verstand er es nicht seine Macht zu gebrauchen und seine Clienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat. — Im Ganzen war auf dem Gebiet der Volkswahlen und der Ge- schwornengerichte der Erfolg der Machthaber nur ein sehr zwei- felhafter und getheilter. Die Factoren, die hier herrschten, waren minder greifbar und eben darum weit schwerer zu terrorisiren oder zu corrumpiren als die unmittelbaren Organe der Regierung und Verwaltung. Die Gewalthaber stieſsen hier, namentlich in den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in Coterien gruppirten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat und die um so

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/312>, abgerufen am 22.05.2024.