Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stelltenauf der grossen von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden römischen Heerstrasse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefasst von ihnen eine Belagerung auszu- halten. Es war nur um so schlimmer, dass eine starke römische Armee in der Provinz stand und zusah, wie die Bergbewohner und die Nachbarvölker die friedlichen Unterthanen Roms brand- schatzten. -- Dergleichen Angriffe konnten nun freilich Roms Macht allerdings nicht gefährden und auf eine Schande mehr kam es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseit der Donau in den weiten dakischen Steppen ein Volk sich staat- lich zu consolidiren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zamolxis genannt, der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägypti- schen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte, in seine Heimath zurückgekommen war um in einer Höhle des ,heiligen Berges' als frommer Einsiedler sein Leben zu beschlies- sen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes wichtige Beginnen; seinen Landsleuten galt er anfangs als Prie- ster des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie es von Moses und Aaron heisst, dass der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden; regelmässig stand jetzt dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König befahl. Diese eigenthümliche Verfassung, in der die theokratische Idee der wie es scheint absoluten Königsgewalt dienstbar gewor- den war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Unter- thanen gegenüber gegeben haben, wie etwa Muhamed sie seinen Arabern gegenüber gehabt hat. Die Folge davon war die wunder- barste religiös-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der König der Geten Boerebistas und der Gott Dekaeneos durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Mässigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen so zu sagen puritanisch disciplinirten und begeister- ten Schaaren gründete König Boerebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich aus- FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stelltenauf der groſsen von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden römischen Heerstraſse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefaſst von ihnen eine Belagerung auszu- halten. Es war nur um so schlimmer, daſs eine starke römische Armee in der Provinz stand und zusah, wie die Bergbewohner und die Nachbarvölker die friedlichen Unterthanen Roms brand- schatzten. — Dergleichen Angriffe konnten nun freilich Roms Macht allerdings nicht gefährden und auf eine Schande mehr kam es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseit der Donau in den weiten dakischen Steppen ein Volk sich staat- lich zu consolidiren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zamolxis genannt, der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägypti- schen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte, in seine Heimath zurückgekommen war um in einer Höhle des ‚heiligen Berges‘ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschlies- sen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes wichtige Beginnen; seinen Landsleuten galt er anfangs als Prie- ster des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie es von Moses und Aaron heiſst, daſs der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden; regelmäſsig stand jetzt dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König befahl. Diese eigenthümliche Verfassung, in der die theokratische Idee der wie es scheint absoluten Königsgewalt dienstbar gewor- den war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Unter- thanen gegenüber gegeben haben, wie etwa Muhamed sie seinen Arabern gegenüber gehabt hat. Die Folge davon war die wunder- barste religiös-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der König der Geten Boerebistas und der Gott Dekaeneos durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Mäſsigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen so zu sagen puritanisch disciplinirten und begeister- ten Schaaren gründete König Boerebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich aus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0286" n="276"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/> seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten<lb/> auf der groſsen von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden<lb/> römischen Heerstraſse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike<lb/> machte man sich darauf gefaſst von ihnen eine Belagerung auszu-<lb/> halten. Es war nur um so schlimmer, daſs eine starke römische<lb/> Armee in der Provinz stand und zusah, wie die Bergbewohner<lb/> und die Nachbarvölker die friedlichen Unterthanen Roms brand-<lb/> schatzten. — Dergleichen Angriffe konnten nun freilich Roms<lb/> Macht allerdings nicht gefährden und auf eine Schande mehr kam<lb/> es längst nicht mehr an. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten
auf der groſsen von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden
römischen Heerstraſse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike
machte man sich darauf gefaſst von ihnen eine Belagerung auszu-
halten. Es war nur um so schlimmer, daſs eine starke römische
Armee in der Provinz stand und zusah, wie die Bergbewohner
und die Nachbarvölker die friedlichen Unterthanen Roms brand-
schatzten. — Dergleichen Angriffe konnten nun freilich Roms
Macht allerdings nicht gefährden und auf eine Schande mehr kam
es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseit
der Donau in den weiten dakischen Steppen ein Volk sich staat-
lich zu consolidiren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu
spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten.
Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des
Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zamolxis genannt,
der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen
in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägypti-
schen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte,
in seine Heimath zurückgekommen war um in einer Höhle des
‚heiligen Berges‘ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschlies-
sen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und
spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes
wichtige Beginnen; seinen Landsleuten galt er anfangs als Prie-
ster des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie
es von Moses und Aaron heiſst, daſs der Herr den Aaron zum
Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe.
Es war hieraus eine bleibende Institution geworden; regelmäſsig
stand jetzt dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus
dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König
befahl. Diese eigenthümliche Verfassung, in der die theokratische
Idee der wie es scheint absoluten Königsgewalt dienstbar gewor-
den war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Unter-
thanen gegenüber gegeben haben, wie etwa Muhamed sie seinen
Arabern gegenüber gehabt hat. Die Folge davon war die wunder-
barste religiös-politische Reform der Nation, welche um diese
Zeit der König der Geten Boerebistas und der Gott Dekaeneos
durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich
und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das
neue Mäſsigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt;
mit seinen so zu sagen puritanisch disciplinirten und begeister-
ten Schaaren gründete König Boerebistas binnen wenigen Jahren
ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich aus-
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