schen und assyrischen Cultur. Dass von Hellas und Italiens ver- gangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Welt- geschichte eine Brücke hinüberführt, dass Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, dass die Namen Themisto- kles und Scipio für uns einen andern Klang haben als Asoka und Salmanassar, dass Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den litterarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schöpfung seines grossen Vorgängers im Osten von den Sturmfluthen des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwer- punct der Civilisation selbst ihm verschoben haben, und für das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.
Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen und der griechischen Halbinseln von den Rheinquellen bis zum schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völker- getümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind wie der schwache Schimmer in tiefer Finsterniss mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indess es ist die Pflicht des Geschichtschreibers auch die Lücken in dem Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht ver- schmähen neben Caesars grossartigem Vertheidigungssystem der dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Se- nats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermein- ten. -- Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor (II, 160) den Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der Triumph des Statthalters des cisalpinischen Galliens Lucius Afra- nius lassen schliessen, dass um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, dass wir bald darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der Noriker finden. Dass aber von dieser Seite auch nachher Italien durchaus nicht gesichert war, bewies der Ueberfall der blühen- den Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im J. 702, als die transalpinische Insurrection Caesar genöthigt hatte Ober- italien ganz von Truppen zu entblössen. -- Auch die unruhigen Völker, die den illyrischen Küstenstrich inne hatten, machten ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Delmater,
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
schen und assyrischen Cultur. Daſs von Hellas und Italiens ver- gangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Welt- geschichte eine Brücke hinüberführt, daſs Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, daſs die Namen Themisto- kles und Scipio für uns einen andern Klang haben als Asoka und Salmanassar, daſs Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den litterarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schöpfung seines groſsen Vorgängers im Osten von den Sturmfluthen des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwer- punct der Civilisation selbst ihm verschoben haben, und für das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.
Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen und der griechischen Halbinseln von den Rheinquellen bis zum schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völker- getümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind wie der schwache Schimmer in tiefer Finsterniſs mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indeſs es ist die Pflicht des Geschichtschreibers auch die Lücken in dem Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht ver- schmähen neben Caesars groſsartigem Vertheidigungssystem der dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Se- nats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermein- ten. — Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor (II, 160) den Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der Triumph des Statthalters des cisalpinischen Galliens Lucius Afra- nius lassen schlieſsen, daſs um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, daſs wir bald darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der Noriker finden. Daſs aber von dieser Seite auch nachher Italien durchaus nicht gesichert war, bewies der Ueberfall der blühen- den Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im J. 702, als die transalpinische Insurrection Caesar genöthigt hatte Ober- italien ganz von Truppen zu entblöſsen. — Auch die unruhigen Völker, die den illyrischen Küstenstrich inne hatten, machten ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Delmater,
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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
schen und assyrischen Cultur. Daſs von Hellas und Italiens ver-
gangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Welt-
geschichte eine Brücke hinüberführt, daſs Westeuropa romanisch,
das germanische Europa klassisch ist, daſs die Namen Themisto-
kles und Scipio für uns einen andern Klang haben als Asoka und
Salmanassar, daſs Homer und Sophokles nicht wie die Veden
und Kalidasa nur den litterarischen Botaniker anziehen, sondern
in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und
wenn die Schöpfung seines groſsen Vorgängers im Osten von
den Sturmfluthen des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden
ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem
Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwer-
punct der Civilisation selbst ihm verschoben haben, und für das,
was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.
Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des
Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig einen
Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen
und der griechischen Halbinseln von den Rheinquellen bis zum
schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völker-
getümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die
Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die
in dieses Gebiet fallen, sind wie der schwache Schimmer in tiefer
Finsterniſs mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indeſs es
ist die Pflicht des Geschichtschreibers auch die Lücken in dem
Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht ver-
schmähen neben Caesars groſsartigem Vertheidigungssystem der
dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Se-
nats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermein-
ten. — Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor (II, 160) den
Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im
Jahre 695 bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der
Triumph des Statthalters des cisalpinischen Galliens Lucius Afra-
nius lassen schlieſsen, daſs um diese Zeit eine Expedition in die
Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, daſs wir bald
darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der
Noriker finden. Daſs aber von dieser Seite auch nachher Italien
durchaus nicht gesichert war, bewies der Ueberfall der blühen-
den Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im J. 702,
als die transalpinische Insurrection Caesar genöthigt hatte Ober-
italien ganz von Truppen zu entblöſsen. — Auch die unruhigen
Völker, die den illyrischen Küstenstrich inne hatten, machten
ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Delmater,
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/284>, abgerufen am 05.12.2024.
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