Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. derliche grosse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Bri-tannien reichenden Handelsstrassen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit der Heimath gaben rasch dem südlichen Kelten- land eine Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hat- ten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtstätte suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. ,Die Provinz Gallien', heisst es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, ,ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittelung eines Römers; je- der Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger'. Aus derselben Schilderung ergiebt sich, dass in Gallien auch ausser den Colonisten von Narbo römische Landwirthe und Viehzüch- ter in grosser Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht ausser Acht zu lassen ist, dass das meiste von Römern besessene Pro- vinzialland, eben wie in frühester Zeit der grösste Theil der eng- lischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Vieh- züchter zum grössten Theil aus deren Verwaltern, Sclaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, dass unter solchen Verhältnissen die Civilisirung und die Romanisirung unter den Eingebornen rasch um sich griff. Die Kelten liebten den Acker- bau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen und es ist sehr glaublich, dass der er- bitterte Widerstand der Allobrogen zum Theil eben durch derglei- chen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht und ihnen die Elemente höherer Gesittung, die Anregungen zum Wein- und Oelbau (II, 153), zum Gebrauche der Schrift* und zur Münzprägung von Massalia aus zugeführt. Auch durch die Römer ward die hellenische Cultur hier eher ge- fördert als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Ein- fluss als es verlor und noch in der römischen Zeit wurden grie- * So ward zum Beispiel in Vaison im vocontischen Gau eine keltische
Inschrift gefunden, die in gewöhnlichem griechischem Alphabet geschrie- ben ist. Sie lautet: segomaros ouilloneos tooutious namausatio eio- roubelesamisoein nemeton. Das letzte Wort heisst ,heilig' FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. derliche groſse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Bri-tannien reichenden Handelsstraſsen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit der Heimath gaben rasch dem südlichen Kelten- land eine Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hat- ten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtstätte suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. ‚Die Provinz Gallien‘, heiſst es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, ‚ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittelung eines Römers; je- der Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger‘. Aus derselben Schilderung ergiebt sich, daſs in Gallien auch auſser den Colonisten von Narbo römische Landwirthe und Viehzüch- ter in groſser Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht auſser Acht zu lassen ist, daſs das meiste von Römern besessene Pro- vinzialland, eben wie in frühester Zeit der gröſste Theil der eng- lischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Vieh- züchter zum gröſsten Theil aus deren Verwaltern, Sclaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daſs unter solchen Verhältnissen die Civilisirung und die Romanisirung unter den Eingebornen rasch um sich griff. Die Kelten liebten den Acker- bau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen und es ist sehr glaublich, daſs der er- bitterte Widerstand der Allobrogen zum Theil eben durch derglei- chen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht und ihnen die Elemente höherer Gesittung, die Anregungen zum Wein- und Oelbau (II, 153), zum Gebrauche der Schrift* und zur Münzprägung von Massalia aus zugeführt. Auch durch die Römer ward die hellenische Cultur hier eher ge- fördert als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Ein- fluſs als es verlor und noch in der römischen Zeit wurden grie- * So ward zum Beispiel in Vaison im vocontischen Gau eine keltische
Inschrift gefunden, die in gewöhnlichem griechischem Alphabet geschrie- ben ist. Sie lautet: σεγομαϱος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατιο ειω- ϱουβηλησαμισοειν νεμητον. Das letzte Wort heiſst ‚heilig‘ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0216" n="206"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/> derliche groſse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Bri-<lb/> tannien reichenden Handelsstraſsen, der bequeme Land- und<lb/> Seeverkehr mit der Heimath gaben rasch dem südlichen Kelten-<lb/> land eine Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie<lb/> zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hat-<lb/> ten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit<lb/> vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtstätte suchten und dort<lb/> italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen<lb/> sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr<lb/> an die Rhone und die Garonne. ‚Die Provinz Gallien‘, heiſst es<lb/> in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung,<lb/> ‚ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein<lb/> Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittelung eines Römers; je-<lb/> der Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt,<lb/> geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger‘. Aus<lb/> derselben Schilderung ergiebt sich, daſs in Gallien auch auſser<lb/> den Colonisten von Narbo römische Landwirthe und Viehzüch-<lb/> ter in groſser Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht auſser<lb/> Acht zu lassen ist, daſs das meiste von Römern besessene Pro-<lb/> vinzialland, eben wie in frühester Zeit der gröſste Theil der eng-<lb/> lischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen<lb/> in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Vieh-<lb/> züchter zum gröſsten Theil aus deren Verwaltern, Sclaven oder<lb/> Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daſs unter solchen<lb/> Verhältnissen die Civilisirung und die Romanisirung unter den<lb/> Eingebornen rasch um sich griff. Die Kelten liebten den Acker-<lb/> bau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie das Schwert mit<lb/> dem Pfluge zu vertauschen und es ist sehr glaublich, daſs der er-<lb/> bitterte Widerstand der Allobrogen zum Theil eben durch derglei-<lb/> chen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte<lb/> der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen<lb/> Grade beherrscht und ihnen die Elemente höherer Gesittung, die<lb/> Anregungen zum Wein- und Oelbau (II, 153), zum Gebrauche<lb/> der Schrift<note place="foot" n="*">So ward zum Beispiel in Vaison im vocontischen Gau eine keltische<lb/> Inschrift gefunden, die in gewöhnlichem griechischem Alphabet geschrie-<lb/> ben ist. Sie lautet: σεγομαϱος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατιο ειω-<lb/> ϱουβηλησαμισοειν νεμητον. Das letzte Wort heiſst ‚heilig‘</note> und zur Münzprägung von Massalia aus zugeführt.<lb/> Auch durch die Römer ward die hellenische Cultur hier eher ge-<lb/> fördert als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Ein-<lb/> fluſs als es verlor und noch in der römischen Zeit wurden grie-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0216]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
derliche groſse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Bri-
tannien reichenden Handelsstraſsen, der bequeme Land- und
Seeverkehr mit der Heimath gaben rasch dem südlichen Kelten-
land eine Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie
zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hat-
ten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit
vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtstätte suchten und dort
italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen
sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr
an die Rhone und die Garonne. ‚Die Provinz Gallien‘, heiſst es
in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung,
‚ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein
Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittelung eines Römers; je-
der Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt,
geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger‘. Aus
derselben Schilderung ergiebt sich, daſs in Gallien auch auſser
den Colonisten von Narbo römische Landwirthe und Viehzüch-
ter in groſser Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht auſser
Acht zu lassen ist, daſs das meiste von Römern besessene Pro-
vinzialland, eben wie in frühester Zeit der gröſste Theil der eng-
lischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen
in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Vieh-
züchter zum gröſsten Theil aus deren Verwaltern, Sclaven oder
Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daſs unter solchen
Verhältnissen die Civilisirung und die Romanisirung unter den
Eingebornen rasch um sich griff. Die Kelten liebten den Acker-
bau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie das Schwert mit
dem Pfluge zu vertauschen und es ist sehr glaublich, daſs der er-
bitterte Widerstand der Allobrogen zum Theil eben durch derglei-
chen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte
der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen
Grade beherrscht und ihnen die Elemente höherer Gesittung, die
Anregungen zum Wein- und Oelbau (II, 153), zum Gebrauche
der Schrift * und zur Münzprägung von Massalia aus zugeführt.
Auch durch die Römer ward die hellenische Cultur hier eher ge-
fördert als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Ein-
fluſs als es verlor und noch in der römischen Zeit wurden grie-
* So ward zum Beispiel in Vaison im vocontischen Gau eine keltische
Inschrift gefunden, die in gewöhnlichem griechischem Alphabet geschrie-
ben ist. Sie lautet: σεγομαϱος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατιο ειω-
ϱουβηλησαμισοειν νεμητον. Das letzte Wort heiſst ‚heilig‘
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