Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL V. bittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften December, alser die Curie verliess, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, dass er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben ge- lassen, wo siebzehn Jahr später ihn der Todesstreich traf; län- gere Zeit hat er die Curie nicht wieder betreten. Wer überall das Verhalten Catilinas in Rom und die Entsendung des Antonius unbefangen erwägt, wird des Argwohns kaum sich zu erwehren vermögen, dass hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche, gestützt auf den Mangel vollständiger Beweise, die Lauheit und Feigheit der nach jedem Vorwande zur Unthätigkeit begierig grei- fenden Senatsmehrheit benutzten um ein ernstliches Einschrei- ten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklärung und Truppensendung gegen die Insurrection so zu lenken, dass sie beinahe auf die Sendung einer Hülfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt, dass die Fäden des catilinarischen Complotts weit höher hinauf- reichen als zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, dass in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilina- rier, dem mauretanischen Freischaarenführer Publius Sittius in der engsten Allianz stand und dass er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proclamationen des Manlius be- gehrten. -- All diese einzelnen Indicien reden deutlich genug; wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenüber der seit dem gabinisch-manilischen Gesetze drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an sich schon fast zur Gewissheit, dass sie, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, in den geheimen Complotten und dem Bündniss mit der Anarchie eine letzte Hülfe gesucht hat. Die Verhältnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ähnlich wie damals Sulla, so such- ten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzu- richten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann wo möglich besser zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputirliche- ren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund und überliessen den unsauberen Genossen die Ausführung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr mussten, als das Unternehmen gescheitert war, die höher gestellten Theilnehmer alles anwenden FÜNFTES BUCH. KAPITEL V. bittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften December, alser die Curie verlieſs, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, daſs er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben ge- lassen, wo siebzehn Jahr später ihn der Todesstreich traf; län- gere Zeit hat er die Curie nicht wieder betreten. Wer überall das Verhalten Catilinas in Rom und die Entsendung des Antonius unbefangen erwägt, wird des Argwohns kaum sich zu erwehren vermögen, daſs hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche, gestützt auf den Mangel vollständiger Beweise, die Lauheit und Feigheit der nach jedem Vorwande zur Unthätigkeit begierig grei- fenden Senatsmehrheit benutzten um ein ernstliches Einschrei- ten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklärung und Truppensendung gegen die Insurrection so zu lenken, daſs sie beinahe auf die Sendung einer Hülfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt, daſs die Fäden des catilinarischen Complotts weit höher hinauf- reichen als zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, daſs in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilina- rier, dem mauretanischen Freischaarenführer Publius Sittius in der engsten Allianz stand und daſs er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proclamationen des Manlius be- gehrten. — All diese einzelnen Indicien reden deutlich genug; wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenüber der seit dem gabinisch-manilischen Gesetze drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an sich schon fast zur Gewiſsheit, daſs sie, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, in den geheimen Complotten und dem Bündniſs mit der Anarchie eine letzte Hülfe gesucht hat. Die Verhältnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ähnlich wie damals Sulla, so such- ten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzu- richten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann wo möglich besser zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputirliche- ren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund und überlieſsen den unsauberen Genossen die Ausführung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr muſsten, als das Unternehmen gescheitert war, die höher gestellten Theilnehmer alles anwenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0186" n="176"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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Wer überall das<lb/> Verhalten Catilinas in Rom und die Entsendung des Antonius<lb/> unbefangen erwägt, wird des Argwohns kaum sich zu erwehren<lb/> vermögen, daſs hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche,<lb/> gestützt auf den Mangel vollständiger Beweise, die Lauheit und<lb/> Feigheit der nach jedem Vorwande zur Unthätigkeit begierig grei-<lb/> fenden Senatsmehrheit benutzten um ein ernstliches Einschrei-<lb/> ten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem<lb/> Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die<lb/> Kriegserklärung und Truppensendung gegen die Insurrection so<lb/> zu lenken, daſs sie beinahe auf die Sendung einer Hülfsarmee<lb/> hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt,<lb/> daſs die Fäden des catilinarischen Complotts weit höher hinauf-<lb/> reichen als zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung<lb/> verdienen, daſs in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des<lb/> Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilina-<lb/> rier, dem mauretanischen Freischaarenführer Publius Sittius in<lb/> der engsten Allianz stand und daſs er das Schuldrecht ganz in<lb/> dem Sinne milderte, wie es die Proclamationen des Manlius be-<lb/> gehrten. — All diese einzelnen Indicien reden deutlich genug;<lb/> wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie<lb/> gegenüber der seit dem gabinisch-manilischen Gesetze drohender<lb/> als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an<lb/> sich schon fast zur Gewiſsheit, daſs sie, wie es in solchen Fällen<lb/> zu gehen pflegt, in den geheimen Complotten und dem Bündniſs<lb/> mit der Anarchie eine letzte Hülfe gesucht hat. Die Verhältnisse<lb/> waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten<lb/> Pompeius eine Stellung einnahm ähnlich wie damals Sulla, so such-<lb/> ten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzu-<lb/> richten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann wo<lb/> möglich besser zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch<lb/> Terrorismus und Anarchie und diesen zu bahnen war Catilina<lb/> allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputirliche-<lb/> ren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund<lb/> und überlieſsen den unsauberen Genossen die Ausführung der<lb/> unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich<lb/> zuzueignen hofften. Noch mehr muſsten, als das Unternehmen<lb/> gescheitert war, die höher gestellten Theilnehmer alles anwenden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0186]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
bittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften December, als
er die Curie verlieſs, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte
nicht viel, daſs er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben ge-
lassen, wo siebzehn Jahr später ihn der Todesstreich traf; län-
gere Zeit hat er die Curie nicht wieder betreten. Wer überall das
Verhalten Catilinas in Rom und die Entsendung des Antonius
unbefangen erwägt, wird des Argwohns kaum sich zu erwehren
vermögen, daſs hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche,
gestützt auf den Mangel vollständiger Beweise, die Lauheit und
Feigheit der nach jedem Vorwande zur Unthätigkeit begierig grei-
fenden Senatsmehrheit benutzten um ein ernstliches Einschrei-
ten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem
Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die
Kriegserklärung und Truppensendung gegen die Insurrection so
zu lenken, daſs sie beinahe auf die Sendung einer Hülfsarmee
hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt,
daſs die Fäden des catilinarischen Complotts weit höher hinauf-
reichen als zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung
verdienen, daſs in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des
Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilina-
rier, dem mauretanischen Freischaarenführer Publius Sittius in
der engsten Allianz stand und daſs er das Schuldrecht ganz in
dem Sinne milderte, wie es die Proclamationen des Manlius be-
gehrten. — All diese einzelnen Indicien reden deutlich genug;
wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie
gegenüber der seit dem gabinisch-manilischen Gesetze drohender
als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an
sich schon fast zur Gewiſsheit, daſs sie, wie es in solchen Fällen
zu gehen pflegt, in den geheimen Complotten und dem Bündniſs
mit der Anarchie eine letzte Hülfe gesucht hat. Die Verhältnisse
waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten
Pompeius eine Stellung einnahm ähnlich wie damals Sulla, so such-
ten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzu-
richten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann wo
möglich besser zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch
Terrorismus und Anarchie und diesen zu bahnen war Catilina
allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputirliche-
ren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund
und überlieſsen den unsauberen Genossen die Ausführung der
unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich
zuzueignen hofften. Noch mehr muſsten, als das Unternehmen
gescheitert war, die höher gestellten Theilnehmer alles anwenden
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