Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer ge- schichtlichen Tragödie fehlt, dass dieser Act der brutalsten Tyran- nei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen Staatsmänner vollzogen werden musste und dass der ,erste demo- kratische Consul' dazu ausersehen war das Palladium der alten römischen Gemeindefreiheit, das Provocationsrecht zu zerstören.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt wor- den war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig der Insurrection in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heer- bestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünf- acht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Theil der Mannschaft genügend be- waffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen und eine Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um die Organisirung seiner Schaaren zu vollenden und den Aus- bruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der In- surgenten: die Masse der minder Compromittirten ging darauf hin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlosse- ner oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch sich durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schaar an dem Fuss des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Corps des Quintus Me- tellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte. Man war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts übrig als sich auf den näher ste- henden Feind, das heisst auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Thale kam es zum Kampfe zwischen Catilina und den Truppen des Antonius, welche der- selbe, um die Execution gegen seine ehemaligen Verbündeten wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, an diesem Tage unter einem Vorwand einem tapferen unter den Waffen ergrau- ten Offizier, dem Marcus Petreius anvertraut hatte. Die Ueber- macht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des
DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer ge- schichtlichen Tragödie fehlt, daſs dieser Act der brutalsten Tyran- nei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen Staatsmänner vollzogen werden muſste und daſs der ‚erste demo- kratische Consul‘ dazu ausersehen war das Palladium der alten römischen Gemeindefreiheit, das Provocationsrecht zu zerstören.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt wor- den war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig der Insurrection in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heer- bestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünf- acht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Theil der Mannschaft genügend be- waffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen und eine Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um die Organisirung seiner Schaaren zu vollenden und den Aus- bruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der In- surgenten: die Masse der minder Compromittirten ging darauf hin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlosse- ner oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch sich durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schaar an dem Fuſs des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Corps des Quintus Me- tellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte. Man war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts übrig als sich auf den näher ste- henden Feind, das heiſst auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Thale kam es zum Kampfe zwischen Catilina und den Truppen des Antonius, welche der- selbe, um die Execution gegen seine ehemaligen Verbündeten wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, an diesem Tage unter einem Vorwand einem tapferen unter den Waffen ergrau- ten Offizier, dem Marcus Petreius anvertraut hatte. Die Ueber- macht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des
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DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das
Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der
Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende
Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer ge-
schichtlichen Tragödie fehlt, daſs dieser Act der brutalsten Tyran-
nei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen
Staatsmänner vollzogen werden muſste und daſs der ‚erste demo-
kratische Consul‘ dazu ausersehen war das Palladium der alten
römischen Gemeindefreiheit, das Provocationsrecht zu zerstören.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt wor-
den war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig
der Insurrection in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heer-
bestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich
durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünf-
acht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin
freilich nur etwa der vierte Theil der Mannschaft genügend be-
waffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen
und eine Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um
die Organisirung seiner Schaaren zu vollenden und den Aus-
bruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht
von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der In-
surgenten: die Masse der minder Compromittirten ging darauf
hin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlosse-
ner oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch sich
durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber
als die kleine Schaar an dem Fuſs des Gebirges bei Pistoria
(Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die
Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Corps des Quintus Me-
tellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um
den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die
Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich
nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte.
Man war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel
gingen zu Ende; es blieb nichts übrig als sich auf den näher ste-
henden Feind, das heiſst auf Antonius zu werfen. In einem engen
von felsigen Bergen eingeschlossenen Thale kam es zum Kampfe
zwischen Catilina und den Truppen des Antonius, welche der-
selbe, um die Execution gegen seine ehemaligen Verbündeten
wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, an diesem Tage
unter einem Vorwand einem tapferen unter den Waffen ergrau-
ten Offizier, dem Marcus Petreius anvertraut hatte. Die Ueber-
macht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/183>, abgerufen am 27.11.2024.
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