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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erschei-
nen und eine Vertheidigung gegen die zornigen Angriffe des Con-
suls zu versuchen, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten
Tage enthüllte; aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der
Nähe des Platzes, auf dem er sass, leerten sich die Bänke. Er
verliess die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne
diesen Zwischenfall ohne Zweifel gethan haben würde, der Ver-
abredung gemäss nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum
Consul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste
Meldung von dem Ausbruch der Insurrection in der Hauptstadt
die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regie-
rung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius so wie die-
jenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag
die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue
Milizen ein; aber nicht bloss ward nicht eingeschritten gegen die
in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung,
sondern auch an die Spitze des gegen Catilina bestimmten Hee-
res der Consul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Ver-
schwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus
vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm
zuführen werde. Der Plan der hauptstädtischen Emeute war noch
von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgestellt wor-
den: ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung
das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Consul Cicero
aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf
Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen her-
angezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Ge-
schwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus dringende Vor-
stellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an
die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Los-
schlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt
noch gelingen. Allein die Conspiratoren waren gerade ebenso
unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und
es kam zu keiner Entscheidung.

Endlich führte die Contremine sie herbei. In seiner weit-
läuftigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Noth-
wendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitschichtiger
Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom
anwesenden Deputirten eines Keltengaus, der Allobrogen einge-
lassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Ge-
meinwesens und selber tief verschuldet, zur Theilnahme an der
Verschwörung bestimmt, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und

DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erschei-
nen und eine Vertheidigung gegen die zornigen Angriffe des Con-
suls zu versuchen, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten
Tage enthüllte; aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der
Nähe des Platzes, auf dem er saſs, leerten sich die Bänke. Er
verlieſs die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne
diesen Zwischenfall ohne Zweifel gethan haben würde, der Ver-
abredung gemäſs nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum
Consul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste
Meldung von dem Ausbruch der Insurrection in der Hauptstadt
die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regie-
rung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius so wie die-
jenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag
die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue
Milizen ein; aber nicht bloſs ward nicht eingeschritten gegen die
in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung,
sondern auch an die Spitze des gegen Catilina bestimmten Hee-
res der Consul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Ver-
schwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus
vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm
zuführen werde. Der Plan der hauptstädtischen Emeute war noch
von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgestellt wor-
den: ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung
das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Consul Cicero
aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf
Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen her-
angezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Ge-
schwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus dringende Vor-
stellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an
die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Los-
schlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt
noch gelingen. Allein die Conspiratoren waren gerade ebenso
unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und
es kam zu keiner Entscheidung.

Endlich führte die Contremine sie herbei. In seiner weit-
läuftigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Noth-
wendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitschichtiger
Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom
anwesenden Deputirten eines Keltengaus, der Allobrogen einge-
lassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Ge-
meinwesens und selber tief verschuldet, zur Theilnahme an der
Verschwörung bestimmt, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und

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[169/0179] DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT. berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erschei- nen und eine Vertheidigung gegen die zornigen Angriffe des Con- suls zu versuchen, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten Tage enthüllte; aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der Nähe des Platzes, auf dem er saſs, leerten sich die Bänke. Er verlieſs die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne diesen Zwischenfall ohne Zweifel gethan haben würde, der Ver- abredung gemäſs nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Consul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem Ausbruch der Insurrection in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regie- rung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius so wie die- jenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue Milizen ein; aber nicht bloſs ward nicht eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung, sondern auch an die Spitze des gegen Catilina bestimmten Hee- res der Consul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Ver- schwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zuführen werde. Der Plan der hauptstädtischen Emeute war noch von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgestellt wor- den: ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Consul Cicero aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen her- angezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Ge- schwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus dringende Vor- stellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Los- schlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt noch gelingen. Allein die Conspiratoren waren gerade ebenso unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung. Endlich führte die Contremine sie herbei. In seiner weit- läuftigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Noth- wendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitschichtiger Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputirten eines Keltengaus, der Allobrogen einge- lassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Ge- meinwesens und selber tief verschuldet, zur Theilnahme an der Verschwörung bestimmt, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/179>, abgerufen am 03.05.2024.